Der diesjĂ€hrige Workshop des Instituts fĂŒr gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) zum Kennzeichenrecht fand traditionsgemĂ€ss in der Kartause Ittingen statt. Geleitet wurde die von ihm auch konzipierte Tagung von Michael Ritscher und Christoph Gasser war fĂŒr die Organisation verantwortlich.
Cette annĂ©e, le workshop de lâInstitut de la propriĂ©tĂ© industrielle (INGRES) sur le droit des signes distinctifs a eu lieu, comme le veut la tradition, Ă la Kartause Ittingen. La confĂ©rence a Ă©tĂ© conçue et dirigĂ©e par Michael Ritscher tandis que Christoph Gasser en a assurĂ© lâorganisation.
Julia Weber,
BLaw, ZĂŒrich.
Sebastian Suter,
MLaw, ZĂŒrich.
In seinem Einleitungsreferat fĂŒhrt Ritscher (Rechtsanwalt, ZĂŒrich) zunĂ€chst in einer «tour dâhorizon» durch die Themen der vorherigen Ittinger Workshops. Das Thema der Verwechslungsgefahr ist nun bereits zum vierten Mal Tagungsthema, woraus zu schliessen ist, dass diesbezĂŒglich schon lange und weiterhin grosser Redebedarf besteht.
Auslöser fĂŒr die erneute Wahl der Thematik ist eine Studie von Florent Thouvenin. Die Studie kommt mit empirischen Methoden zu ĂŒberraschenden Ergebnissen, so etwa, dass die Abgrenzung von Verkehrskreisen in der Entscheidungsfindung der Gerichte und im Endergebnis keine erhebliche Rolle spielt. Daraus lĂ€sst sich wiederum die Schlussfolgerung ziehen, dass man die Verkehrskreise entweder abschaffen oder ihnen vermehrt Bedeutung zukommen lassen muss.
Ritscher stellt fest, dass bei der Beurteilung des VerhĂ€ltnisses zwischen Markenrecht und Markenwirklichkeit die Empirie eine wichtige Rolle spielt und auch spielen soll. Dabei gilt es die grundlegende Frage zu beantworten, was in den Bereich der Soziologie und was in den Bereich der Juristerei fĂ€llt. Dementsprechend sollten seiner Meinung nach ErfahrungssĂ€tze bekannt, nachprĂŒfbar und nachgewiesen sein, da es sich ansonsten nicht um ErfahrungssĂ€tze, sondern um Spekulationen handelt.
JĂŒrg Simon (Rechtsanwalt, ZĂŒrich) beginnt mit einer Auslegeordnung von 39 Kriterien, die gemĂ€ss Simon vom BGer zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr herbeigezogen werden. Wie diese Kriterien jedoch zu bewerten sind, ist Aufgabe der nachfolgenden Referenten.
Er legt dar, dass die Verwechslungsgefahr nach herrschender Lehre eine Rechtsfrage darstellt, obwohl einige Komponenten dem Beweis offenstehen und somit Tatfragen darstellen. Als Beispiel nennt er die Aufmerksamkeit der Verkehrskreise, welche demoskopisch erfasst werden kann.
Simon analysiert Schritt fĂŒr Schritt die 39 Kriterien und unterscheidet zwischen der Herleitung der Kriterien von Gesetz, Rechtsprechung, Erfahrungssatz, Dogmatik und Wirklichkeit. Auffallend ist, dass 19 der 39 Kriterien nicht rein normativen Ursprungs sind, sondern anhand von Beobachtungen der Wirklichkeit abgeleitet werden. Diese stehen somit dem Beweis offen, weshalb Simon hinterfragt, ob es sich bei der Verwechslungsgefahr effektiv um eine reine Rechtsfrage handelt.
Florent Thouvenin (ordentlicher Professor, UniversitĂ€t ZĂŒrich) und Daniel Gerber (Doktorand, UniversitĂ€t Basel) stellen zusammen ihre Studie mit dem Titel «Trademark Opposition Proceedings in Switzerland: An Empirical Study of Legal Reasoning» vor, die sie 2021 zusammen mit Tilmann Altwicker publizierten. Die Forscher setzten sich zum Ziel, anhand eines Datensatzes von 2 456 Entscheiden des IGE, Entscheidungsmuster und relevante Entscheidungsfaktoren zu analysieren, um so Ăbereinstimmungen und allfĂ€llige Diskrepanzen zwischen der markenrechtlichen Doktrin und den Entscheidungen im Widerspruchsverfahren aufzudecken. Thouvenin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass man nicht die Absicht hatte, die Richtigkeit der Rechtsanwendung des IGE zu ĂŒberprĂŒfen, sondern nur allfĂ€llige Diskrepanzen zwischen dem «law in the books» und dem «law in action» aufzudecken.
Mit einem eigens dafĂŒr entwickelten Computerprogramm analysierten die Forscher die Entscheide auf 30 Variablen wie bspw. Informationen zu den Parteien und Marken, wie Hinterlegungsdatum oder beanspruchte Waren- bzw. Dienstleistungsklasse, sowie Kriterien, die zur Beurteilung eines Widerspruchs standardmĂ€ssig herangezogen werden. Diese automatisch erfassten Informationen wurden in einem zweiten Schritt von Hilfsassistierenden ĂŒberprĂŒft und nötigenfalls manuell angepasst. Aus den gewonnenen Zahlen liessen sich im Anschluss beispielsweise Aussagen ĂŒber die HĂ€ufigkeit von WidersprĂŒchen nach Waren- und Dienstleistungsklassen oder nach Markenarten treffen, welche die Forscher in ihrer Studie abbilden und versuchen insbesondere vier Hypothesen zu verifizieren.
Die erste Hypothese lautet, dass je grösser die Aufmerksamkeit der beteiligten Verkehrskreise ist, umso höher die Rate der zurĂŒckgewiesenen WidersprĂŒche ausfĂ€llt. Die Auswertung der Zahlen zeigt, dass die Unterschiede statistisch kaum wahrnehmbar sind, respektive eine erhöhte Aufmerksamkeit keinen Einfluss auf die Erfolgsrate der WidersprĂŒche hat. Thouvenin wirft deshalb die Frage auf, ob das Kriterium der Aufmerksamkeit der Verkehrskreise relativiert oder allenfalls sogar aufgegeben werden muss.
Die zweite Hypothese lautet, dass je unterscheidungskrĂ€ftiger die Widerspruchsmarke ist, umso höher die Rate der erfolgreichen WidersprĂŒche ausfĂ€llt. Auch diese These konnte nicht bestĂ€tigt werden. Thouvenin stellt fest, dass Unterscheidungskraft und Schutzbereich weitestgehend korrelieren. Als möglichen ErklĂ€rungsansatz nennt Thouvenin, dass bekanntere Marken möglicherweise aggressiver verteidigt werden, weshalb es auch in heiklen FĂ€llen zu Widerspruchsverfahren und somit auch zu mehr Abweisungen kommen könnte.
Als drittes nahm sich das Forschungsteam der Doktrin an, dass bei Wortmarken die Verwechslungsgefahr hĂ€ufiger bejaht wird, wenn Wortanfang und/oder -ende von Widerspruchsmarke und angegriffener Marke ĂŒbereinstimmen. Diese These konnte im Grundsatz bestĂ€tigt werden. Die Zahlen zeigen aber auch, dass die Rate der erfolgreichen WidersprĂŒche signifikant ansteigt, wenn der erste oder der letzte Buchstabe der beiden Marken ĂŒbereinstimmen. Ăbereinstimmungen bei weiteren Buchstaben des Wortanfangs und/oder -endes haben gemĂ€ss der Studie jedoch keinen signifikanten Einfluss auf den Erfolg des Widerspruchs.
Als vierte und letzte Hypothese ĂŒberprĂŒfte das Forscherteam, ob Wortmarken in einem Widerspruchsverfahren öfter obsiegen als andere Markenarten. Auch diese These konnte bestĂ€tigt werden. Die Zahlen zeigen, dass die Erfolgsrate bei Wortmarken tatsĂ€chlich am höchsten ist, insb. wenn gegen eine andere Wortmarke vorgegangen wird. Thouvenin folgert daraus, dass je abstrakter eine (Wort-)Marke ist, umso grösser auch deren Erfolgschance ist; umgekehrt nimmt er an, dass je mehr kombinierte Elemente eine Marke aufweist, desto kleiner deren Schutzbereich wird.
Aus dem Publikum kommen diverse Fragen zur Methodik und zum Studienaufbau. Simon möchte wissen, ob man bei der Frage, ob tatsĂ€chlich die Ăbereinstimmung des Wortanfangs relevant ist, berĂŒcksichtigt hat, ob es sich beim ersten Buchstaben um einen Vokal oder ein Konsonant handelt. Gerber verneint. Thouvenin merkt an, dass man gerne das Wortbild analysiert hĂ€tte, dazu jedoch noch keine technische Lösung gefunden hat. Bechtold fragt nach Selektionseffekten und KausalitĂ€tsproblemen, welche bei solchen empirischen Analysen auftreten können. Gerber erklĂ€rt, dass man sich dessen bewusst war, es allerdings nicht gesondert habe berĂŒcksichtigen können.
Raphael Nusser (Rechtsanwalt, ZĂŒrich) beginnt sein Referat mit der Feststellung, dass bei der Bestimmung der Verkehrskreise grösstenteils unstrukturiert vorgegangen werde.
Zur Historie der Verkehrskreise fĂŒhrt Nusser aus, dass das BGer bereits im Jahr 1881 zwischen «Sachkennern» und dem «Publikum» (BGE 7 I 380 ff. E. 4, «liegender Tiger») unterschieden hat. Der Ausdruck der Verkehrskreise hat sich in der Rechtsprechung des BGers in den 1930er-Jahren etabliert und wurde lange Zeit uneinheitlich verwendet. Beispielsweise war im Entscheid «Kamillosan» (BGE 122 III 382 ff. E. 1) lediglich von einem unbestimmten «Publikum» die Rede. Im Entscheid «Fructa/Fructaid» (BVGer B-7934/2007) stellte man hingegen auf die «beidseits beanspruchten Waren und Dienstleistungen» ab und im Fall «Levane/Levact» (BVGer B-4070/2007) war der Nachfragekreise der Verletzermarke massgeblich. Nusser schliesst daraus, dass bei dieser Entwicklung in der Rechtsprechung die Theorie die Praxis massgeblich beeinflusst hat.
Seiner Meinung nach handelt es sich beim Verkehrskreis «Endabnehmer der Àlteren Marke» um eine fixe, normative Beurteilungsmenge, was sich informationsrechtlich (Marke als kodifizierte Information) und ökonomisch (Umsatzeinbussen durch Fehlzurechnung von Produkten) rechtfertigen lÀsst.
Nusser fĂ€hrt mit der Individualisierung der Endabnehmerkreise fort. Er stellt fest, dass es sich um eine etablierte Spruchpraxis handelt, wonach die Individualisierung der Endabnehmerkreise eine Rechtsfrage darstellt. Ebenfalls unbestritten ist, dass man von zwei normativen Beurteilungsmengen ausgeht: dem Durchschnittskonsumenten und den Fachkreisen. Es findet eine normativ-objektivierte Individualisierung der Endabnehmerkreise gestĂŒtzt auf das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis statt. Der Rechtsfragecharakter verunmöglicht gleichzeitig aber auch eine tatsĂ€chliche BeweisfĂŒhrung. Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Verkehrskreise individualisiert werden. Mögliche Rechtsanwendungshilfen sind gemĂ€ss Nusser qualifizierte ErfahrungssĂ€tze, allgemeine Lebenserfahrung, richterliches Erfahrungswissen («case law») und offenkundige Tatsachen.
Innerhalb der jeweiligen Abnehmerkreise gibt es Teilmengen. Bei absoluten AusschlussgrĂŒnden ist eine geteilte Verkehrsauffassung innerhalb der individualisierten Endabnehmerkreise möglich. Eine geteilte Verkehrsauffassung ist jedoch nur zwischen «Fachkreisen» und «Durchschnittskonsumenten», nicht aber innerhalb der jeweiligen Gruppen «Durchschnittskonsumenten» oder «Fachkreisen» möglich. Hingegen wir bei der PrĂŒfung der Verwechslungsgefahr auf die einheitliche und damit ungeteilte Verkehrsauffassung innerhalb eines Endabnehmerkreises abgestellt.
Nusser folgert daraus, dass die Rechtsprechung im vergangenen Jahrzehnt an Kontur und Systematik dazugewonnen hat, was zu erhöhter Voraussehbarkeit und Rechtssicherheit gefĂŒhrt hat. Dabei ist er der Meinung, dass vordefinierte normative Leitbilder eine bessere Struktur und Orientierung fĂŒr die Ist-Kennzeichenbeurteilung schaffen.
Es ergeben sich aber weitergehende Frage- und Problemstellungen. Beispielsweise wurde aus dem Publikum die Frage aufgeworfen, ob die Verkehrskreise ĂŒberhaupt individualisiert werden mĂŒssen oder ob «normative Floskeln» reichen wĂŒrden. Zudem wĂŒrde das IGE den Oberbegriffen im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis grosse Bedeutung beimessen, was zu ĂŒberschiessenden AbwehransprĂŒchen fĂŒhren könne. Zuletzt wird die Frage angesprochen, ob «Ist»-Verkehrskreise und die «Ist»-Verkehrsauffassung massgeblich sind, oder ob nicht vielmehr auf eine «abstrakte PrĂŒfungsart» (d.h. einer «Soll»-Verkehrsauffassung) abgestellt werden mĂŒsste.
Senta Bingener (DPMA, MĂŒnchen) setzt sich in ihrem Vortrag mit der Wahrnehmung der Verkehrskreise in der modernen, digitalen Welt auseinander.
Bingener fĂŒhrt aus, dass die prognostizierte Wahrnehmung des von den beanspruchten Produkten angesprochenen Verkehrskreises die zentrale Grösse fĂŒr die meisten Fragestellungen im Markenrecht ist. Dabei wird auf das VerstĂ€ndnis der Adressaten abgestellt. Das VerstĂ€ndnis hĂ€ngt jedoch von einer vorgelagerten Frage ab, nĂ€mlich nach der Wahrnehmung des jeweiligen Adressaten.
Nach dem zentralen Verbraucherleitbild des EuGH kommt es fĂŒr die Bewertung massgeblich auf die Auffassung der Kunstfigur des «normal informierten und angemessen aufmerksamen und verstĂ€ndigen Durchschnittsverbrauchers der Produkte» an. Dieses Bild ist jedoch stark im Wandel. TatsĂ€chlich handelt es sich gemĂ€ss Bingener dabei immer mehr um einen Online-Konsumenten. 2021 nutzten 88% der ĂŒber 14-jĂ€hrigen Smartphones und mehr als 70% shoppten online, weshalb sie von einem «Aussterben der Offline-Shopper» spricht. Wer jedoch zu den massgeblichen Verkehrskreisen zĂ€hlt, wird oft mit tradierten RechtsgrundsĂ€tzen und ErfahrungssĂ€tzen der Rechtsprechung eruiert. Bingener wirft die Frage auf, ob diese RechtsgrundsĂ€tze und ErfahrungssĂ€tze ĂŒberhaupt noch zur aktuellen RealitĂ€t passen, denn sie gelten seit Jahrzehnten weitgehend unverĂ€ndert, wĂ€hrend sich die KonsumrealitĂ€t in der digitalen Welt massiv verĂ€ndert hat.
Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Verkehrskreise, insbesondere durch die OmniprĂ€senz smarter GerĂ€te und der kĂŒnstlichen Intelligenz (KI). Smartphones ermöglichen uns eine stĂ€ndige Recherche und Informationsgewinnung und bauen die begrenzte MerkfĂ€higkeit des Menschen aus. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass unsere Suchergebnisse der Onlinerecherchen und damit die angezeigten Ergebnisse bereits durch integrierte Algorithmen und die KI dahinter beeinflusst werden. Der «Blick in die Welt» des einzelnen Durchschnittsverbrauchers wird bereits durch Algorithmen und KI gelenkt und gefiltert wodurch eine individuelle, auf den Verbraucher zugeschnittene «RealitĂ€t» geschaffen wird. Um nun die Wahrnehmung des Verkehrs fĂŒr eine markenrechtliche Bewertung zu simulieren, greifen auch die Behörden, Gerichte und Beteiligten auf die digitalen Mittel zurĂŒck. Dabei erachtet es Bingener als problematisch, dass jeder online gewonnene Eindruck der Verkehrswahrnehmung unerkennbar hoch individualisiert und nur noch wenig objektiv ist.
Bingener folgert daraus, dass eine nicht unerhebliche Diskrepanz zwischen den bisher gĂ€ngigen Tatsachenfeststellungen zur Wahrnehmung der Verkehrskreise â oftmals auf Basis von ErfahrungssĂ€tzen â und der inzwischen digitalisierten Konsumwelt besteht. Sie fordert dementsprechend eine Korrektur der ErfahrungssĂ€tze. Zudem stellt Bingener in Frage, dass die markenrechtlichen GrundsĂ€tze auch fĂŒr eine durch KI beeinflusste Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers noch passen, und wirft die Frage auf, ob die markenrechtlichen GrundsĂ€tze an die neue RealitĂ€t angepasst werden mĂŒssen.
Alexander von MĂŒhlendahl (Rechtsanwalt, MĂŒnchen) analysiert in seinem Beitrag die Relevanz der Verkehrskreise fĂŒr die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Unionsrecht.
Von MĂŒhlendahl erklĂ€rt, dass die stĂ€ndige Rechtsprechung zwar von einem quasi-normativen europĂ€ischen Verbraucherbegriff ausgeht, dieser in der RealitĂ€t aber in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU, basierend auf den (fehlenden) Sprachkenntnissen des Durchschnittsverbraucher, stark unterschiedlich ausfĂ€llt.
Wie sich dieser EU-Durchschnittsverbraucher entwickelt hat, zeigt von MĂŒhlendahl anhand von wegweisenden Urteilen des EuGH auf. Anhand des Urteils «6-Korn â 10 Frische Eier» (EuGH vom 16. Juli 1998, C-210/96) erlĂ€utert er, wie das Gericht den Begriff des «durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstĂ€ndigen Durchschnittsverbrauchers» einfĂŒhrte und bereits ein gewisser Widerstand gegen die EinfĂŒhrung von fixen Prozentschwellen zu erkennen gab. Im Entscheid LLOYD (WBM) ./. Lointâs (EuGH vom 22. Juni 1999, C-342/97) hielt der Gerichtshof fest, dass die Aufmerksamkeit der Durchschnittsverbraucher je nach Art der betroffenen Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann und konkretisierte somit den Begriff der Verkehrskreise. Im Ăbrigen hielt das Gericht in diesem Entscheid auch fest, dass es zur Bejahung der Verwechslungsgefahr bei zwei kollidierenden EU-Marken ausreicht, dass irgendwo in der EU Verwechslungsgefahr besteht.
Mit selbem Entscheid stellte der EuGH zudem fest, dass je grösser die Ăhnlichkeit der erfassten Waren und Dienstleistungen und je stĂ€rker die Kennzeichnungskraft der Ă€lteren Marke ist, desto wahrscheinlicher auch eine Verwechslungsgefahr zwischen den Zeichen angenommen werden kann. Allein der RĂŒckgriff auf bestimmte ProzentsĂ€tze in Bezug auf den Bekanntheitsgrad der Marke bei den beteiligten Verkehrskreisen lĂ€sst noch keine RĂŒckschlĂŒsse darauf zu, ob eine Marke eine hohe Kennzeichnungskraft besitzt. Das Gericht hielt weiter fest, dass fĂŒr die Beurteilung der Verwechslungsgefahr entscheidend ist, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher der konkreten Waren oder Dienstleistungen wirkt. Dabei ist auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstĂ€ndigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Warenart abzustellen, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der betroffenen Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich ausfĂ€llt.
Den Massstab fĂŒr die Feststellung, ob eine Marke «bekannt» ist, legt von MĂŒhlendahl anhand des Urteils CHEVY for Automobile vs. CHEVY (EuGH vom 14. September 1999, C-375/97), dar. Der EuGH hielt in diesem Entscheid erstmals fest, dass «eine eingetragene Marke, um in den Genuss eines auf nichtĂ€hnliche Waren oder Dienstleistungen erweiterten Schutzes zu kommen, einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt sein muss, das von den durch die Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen betroffen ist». Dabei genĂŒgt es, wenn dies in einem wesentlichen Teil des Unionsgebiets der Fall ist.
Im Urteil Armacell Enterprise GmbH vs. HABM/EUIPO (EuGH vom 18. September 2008, C-514/06 P), so von MĂŒhlendahl, erkennt man die Konsequenzen der Einheitlichkeit der Unionsmarke fĂŒr die Verwechslungsgefahr. Das Gericht hielt darin fest, dass die Unionsmarke grundsĂ€tzlich eine einheitliche Wirkung in der gesamten Union erzielen soll. Daraus folgt, dass die Eintragung einer Marke aufgrund vorbestehender Drittrechte nur verweigert werden kann, wenn die Verwechslungsgefahr in allen Mitgliedstaaten und in allen Sprechregionen gegeben ist. Ein Gericht ist deshalb nicht gehalten die Verwechslungsgefahr aus der Perspektive der englischsprechenden Bevölkerung zu betrachten, sondern muss ein Zeichen auch aus der Perspektive des nicht-englischsprechenden Teils der Unionsbevölkerung beurteilen.
In seinem «Webshipping»-Urteil (EuGH vom 12 April 2011, C-235/09) hob der EuGH die Einheitlichkeit der Unionsmarke grösstenteils wieder auf. Das Gericht bejahte, dass ein Verbot basierend auf einer Unionsmarke fĂŒr die gesamte Union gilt, wobei grundsĂ€tzlich nur jene Benutzungen verboten werden können, welche die Markenfunktion beeintrĂ€chtigen. Handlungen eines Beklagten, dessen Benutzung der Marke die Funktion der Gemeinschaftsmarke nicht beeintrĂ€chtige, können nicht Gegenstand eines Verbots sein. Deshalb muss ein Gericht, das ein Verbot ausspricht, dieses in seiner territorialen Reichweite begrenzen, wenn es feststellt, dass die Benutzung des fraglichen Zeichens insb. aus sprachlichen GrĂŒnden die Funktion der Marke in einem Teil des Unionsgebiets nicht beeintrĂ€chtigt oder nicht beeintrĂ€chtigen kann.
Zusammenfassend lÀsst sich festhalten, dass zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf die Auffassung des «durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstÀndigen Durchschnittsverbrauchers» der konkreten Waren und/oder Dienstleistungen abzustellen ist. Zur Bejahung der Verwechslungsgefahr reicht es aus, wenn die Verwechslungsgefahr nur in einem Teil der EuropÀischen Union besteht. Dabei kommt den Sprachkenntnissen in den verschiedenen Mitgliedstaaten grosse Bedeutung zu.
Olivier Veluz (IGE, Bern) geht der Frage nach, ob aufgrund der Erkenntnisse der Studie von Thouvenin et al. auch Handlungsbedarf beim IGE besteht. Dazu fasst er die vier fĂŒr ihn zentralen Schlussfolgerungen der Studie von Thouvenin zusammen und nimmt dazu Stellung.
Die erste Schlussfolgerung spricht die möglichen Auswirkungen der Formulierung des Widerspruchformulars auf die erhebliche Anzahl von teilweise gutgeheissenen WidersprĂŒchen an. Dies ist nach Thouvenin darauf zurĂŒckzufĂŒhren, dass die Widersprechenden meist vollumfĂ€ngliche, und nicht teilweise WidersprĂŒche einreichen wĂŒrden. Thouvenin fĂŒhrt dies darauf zurĂŒck, dass das Formular des IGE nicht zwischen Voll- und TeilwidersprĂŒchen unterscheidet und ein Teilwiderspruch aufwendiger ist, da die angefochtenen Waren und Dienstleistungen aufgelistet werden mĂŒssen. Veluz hĂ€lt dagegen, dass die Verwendung des Formulars fakultativ ist und nur teilweise erfolgt. Er stimmt jedoch zu, dass die WiderspruchsgebĂŒhr pauschal erhoben wird und der vollumfĂ€ngliche Widerspruch deshalb, zumindest fĂŒr Laien attraktiv(er) erscheint.
Nach der zweiten behandelten Erkenntnis von Thouvenin hat der Aufmerksamkeitsgrad der Abnehmer einen geringen Einfluss bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr und letztendlich keinen wesentlichen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens. Dazu bemerkt Veluz, dass es sich beim Aufmerksamkeitsgrad nur um eines der Kriterien handelt, die es bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berĂŒcksichtigen gilt. Die Verwechslungsgefahr hĂ€ngt auch vom Grad der Gleichartigkeit der Waren und Dienstleistungen, dem Grad der Ăhnlichkeit der Zeichen und dem Schutzbereich der Widerspruchsmarke ab. Das IGE prĂŒft die Aufmerksamkeit der Abnehmer lediglich im Rahmen der Beurteilung der Verwechslungsgefahr. Der Schutzumfang hĂ€nge dabei von den Abnehmern der Widerspruchsmarke ab.
Die Studie von Thouvenin kommt weiter zum Schluss, dass bei der Beurteilung der ZeichenĂ€hnlichkeit ein Unterschied zwischen Praxis und Lehre besteht. Beispielsweise ist die Bedeutung eines Ă€hnlichen Wortanfangs und Wortendes bei der Beurteilung der ZeichenĂ€hnlichkeit gemĂ€ss Studie beschrĂ€nkt. Diese Feststellung Ă€ndert jedoch gemĂ€ss Veluz nichts daran, dass die Ăbereinstimmung des Wortanfangs und -endes weiterhin eines der massgeblichen Kriterien fĂŒr die Beurteilung der Ăhnlichkeit bleibt. Er fĂŒgt zudem an, dass die PrĂŒfung der ZeichenĂ€hnlichkeit nicht nach einer rein schematischen PrĂŒfung erfolgt, sondern der Gesamteindruck des jeweiligen Zeichens massgeblich bleibt.
GemĂ€ss der letzten von Veluz besprochenen Erkenntnis von Thouvenin sind die Erfolgsaussichten von WidersprĂŒchen zwischen Wortmarken weitaus grösser als bei kombinierten Marken, Bildmarken oder anderen Markentypen. Veluz stimmt dieser Erkenntnis zu und fĂŒhrt aus, dass bei der Bildmarke kein Schutz eines abstrakten Motivs besteht, zudem tendiert die jĂŒngste Rechtsprechung dazu, den Schutzbereich von Bildmarken zu schwĂ€chen. Zu den anderen Markentypen bestehe sehr wenig Praxis.
Veluz fĂŒhrt weiter aus, dass es beim IGE zu einer Digitalisierung kommt. Es ist nĂ€mlich vorgesehen, dass das E-Komm durch einen Online-Service ersetzt wird. Ein Zeitplan ist noch nicht festgelegt. Zum Thema KI erlĂ€utert Veluz, dass das IGE noch nicht an der Einbeziehung von KI in seine Prozesse arbeitet, es jedoch die BemĂŒhungen anderer Behörden verfolgt.
Matthias Leemann (Bundesgericht, Lausanne) beginnt seinen Beitrag mit der Frage nach der Relevanz der Verkehrskreise ausserhalb des Widerspruchsverfahren. Danach geht Daniel Schwander (Oberrichter HGer ZĂŒrich) auf vier Entscheide des BGer ein.
Wie bereits zuvor Nusser zeigt Leemann erneut, dass die Verkehrskreise im Fall «liegender Tiger» (BGE 7 I 380 ff.) ein erstes Mal vom BGer aufgegriffen wurden. Das Gericht entschied damals, dass in erster Linie der Gesamteindruck der beiden kollidierenden Marken entscheidend ist, die sich nicht bloss an «Sachkenner», sondern auch an das «Publikum» richten. In der aktuelleren Rechtsprechung des BGer sind die Verkehrskreise, gemÀss Leemann, beispielsweise beim absoluten Ausschlussgrund der Sittenwidrigkeit von grosser Bedeutung. Dies zeigt sich beispielsweise im Urteil «Madonna» (BGE 136 III 474 ff.), in dem das Gericht zum Schluss kommt, dass bei der Beurteilung der Verkehrsreise nicht auf sÀmtliche Endabnehmer abzustellen ist, sondern auf den engen Verkehrskreis der «katholische[n] Christen im italienischsprachigen Teil der Schweiz».
Generell prĂŒft das BGer gemĂ€ss Leemann frei, wie der massgebende Adressatenkreis fĂŒr die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen abzugrenzen ist, wie die Adressaten aufgrund der erwarteten Aufmerksamkeit das Zeichen wahrnehmen, und ob eine Verwechslungsgefahr besteht. Im Urteil «Kamillosan» (BGE 122 III 382 ff.) wird beispielsweise auf die Beurteilungskriterien der ZeichenĂ€hnlichkeit, der ProduktĂ€hnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Ă€lteren Marke abgestellt. Ausschlaggebend ist das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der Ă€lteren Marke, nicht die tatsĂ€chliche Positionierung der Ware auf dem Markt.
Die angesprochenen Verkehrskreise bestimmen somit die Aufmerksamkeit, den Informationsstand und letztlich das Unterscheidungsvermögen der Abnehmer. Die Aufmerksamkeit variiert je nach Produkt, weshalb beispielsweise bei einem Massenartikel des tÀglichen Bedarfs mit einer geringeren Aufmerksamkeit und einem geringeren Unterscheidungsvermögen der Konsumenten zu rechnen ist als bei Spezialprodukten, was sich ebenfalls am Urteil «Kamillosan» zeigen lÀsst.
Zusammenfassend hÀlt Leemann fest, dass die praktische Relevanz der Verkehrskreise bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr schwer einzuschÀtzen ist und lediglich eine von mehreren Variablen darstellt.
Schwander stellte in einem zweiten Teil die Entscheide «Armani-Adler» (BGer 4A_651/2018), «Tellco/Tell» (BGer 4A_28/2021), «Canti/Cantique» (BGer 4A_178/2021) und «Tecton/Dekton» (BGer 4A_510/2018) vor, in denen sich das BGer in den letzten Jahren intensiv mit der Thematik der Verkehrskreisen befasst hat. Zur Versinnbildlichung der Relevanz der Aufmerksamkeit erklÀrt Schwander, dass die Aufmerksamkeit als eine Art «Brille» zu verstehen ist, die man aufsetzen muss, bevor die restlichen Parameter beurteilt werden können.
Im Entscheid «Armani-Adler» stellt das BGer fĂŒr die Nachfrage von Uhren auf Verkehrskreise mit leicht erhöhter Aufmerksamkeit ab, will aber nicht danach unterscheiden, ob teure oder billige Uhren nachgefragt werden. Weil Uhren grundsĂ€tzlich immer mit einer gewissen Sorgfalt, d.h. leicht erhöhter Aufmerksamkeit, nachgefragt werden, sind gemĂ€ss BGer auch die zu beurteilenden Adlersymbole unterschiedlich genug.
Im Entscheid «Tellco/Tell» geht das BGer ebenfalls von einer erhöhten Aufmerksamkeit aus, welche die angesprochenen Verkehrskreise bei der Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen an den Tag legen. Die Verwechslungsgefahr wurde im konkreten Fall verneint.
Im Fall «Canti/Cantique» kommt das BGer zu einem etwas ambivalenten Resultat, wenn es einerseits feststellt, dass es sich bei Wein um ein Massenprodukt handelt, gleichzeitig aber auch festhÀlt, dass in diesem Warensegment ein grosses Expertentum besteht. Aufgrund dieser Mischung stellt das BGer auf eine mittlere Aufmerksamkeit der Verkehrskreise ab und verneint auch in diesem Fall eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Zeichen.
Im Fall «Tecton/Dekton» stellt das BGer auf eine erhöhte Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise im Bereich Bauwirtschaft und Abdeckungsmaterialien ab. Trotz der erhöhten Aufmerksamkeit bejaht das BGer insbesondere aufgrund der hohen ZeichenÀhnlichkeit die Verwechslungsgefahr.
Abschliessend findet eine Diskussion unter der Leitung von Ritscher, einerseits zur Relevanz der Verkehrskreise, andererseits zur Nutzung empirischer Methoden bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr, statt.
Ritscher spricht zu Beginn der Diskussion die gute Zusammenarbeit zwischen dem IGE und INGRES an. Thouvenin wiederholt an dieser Stelle, dass die im Rahmen der Studie erhobenen Erkenntnisse keine Kritik an der Arbeitsweise des IGE darstellen. Vielmehr sollen die Studie und die gewonnenen Erkenntnisse dazu genutzt werden, lang tradierte ErfahrungssÀtze zu hinterfragen und eine AnnÀherung der Theorie an die Wirklichkeit mittels empirischer Methoden sicherzustellen.
Thouvenin erwĂ€hnt eine weitere Studie, die den Fokus auf die Unionsmarke legt und zu Ă€hnlichen Ergebnissen kommt, wie die von ihm vorgestellte Studie, nĂ€mlich, dass der Aufmerksamkeit der Abnehmerkreise keine bzw. nur geringe Bedeutung zukommt. Dies erscheint zwar widersprĂŒchlich, da die Aufmerksamkeit auch die Perspektive der angesprochenen Verkehrskreise mitdefiniert. Die Wahl der Perspektive scheint jedoch irrelevant fĂŒr das Endergebnis zu sein. Ritscher bemerkt in diesem Zusammenhang, dass dies auch eine Frage der Methodenehrlichkeit ist. Bingener wendet ein, dass die reine ErwĂ€hnung der Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise in einem Urteil nicht per se etwas darĂŒber aussagt, wie stark diese vom Gericht ĂŒberprĂŒft und bei der Urteilsfindung berĂŒcksichtigt wird. Stefan Bechtold stimmt zu, dass die Ăbernahme von Textbausteinen bei einer solchen Art von Studie ein Problem darstellen kann. Er hĂ€lt fest, dass es zwar AnsĂ€tze gibt, dieser Problematik im Rahmen der Studienerarbeitung zu begegnen. So lĂ€sst bspw. die LĂ€nge des Textbausteins durchaus SchlĂŒsse darĂŒber zu, in welcher Tiefe eine Frage behandelt wurde. Diese Arbeit sei jedoch sehr aufwendig.
Kai Schmidt-Hern weist darauf hin, dass wenn die Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise durch die Gerichte als hoch eingestuft wird, eine Verwechslungsgefahr nur noch selten angenommen wird. Ritscher fĂŒhrt aus, dass genau darin einer der GrĂŒnde liegt, weshalb der Fall «Kamillosan» so revolutionĂ€r gewesen ist. Je bekannter nĂ€mlich eine Marke ist, desto weniger unterliege das Publikum einer Verwechslung. Man hat demnach versucht, lauterkeitsrechtlich zu argumentieren und entwickelte die Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Verwechslungsgefahr. Unterdessen wird gemĂ€ss Ritscher jedoch zu schnell auf die mittelbare Verwechslungsgefahr geschlossen.
Thouvenin merkte an, dass im Bereich der Anfangs- und Endbuchstaben der Bedarf besteht, diese Frage nochmals mit höheren Fallzahlen zu erhĂ€rten. Falls man aber wiederum zum gleichen Schluss kommen wĂŒrde, so mĂŒsste sich dies auch in der Lehre und Rechtsprechung reflektieren.
Bechtold weist auf eine parallele Entwicklung zum Kartellrecht hin, wo die Bedeutung der Ăkonomie stark zugenommen hat. Fraglich bleibt jedoch, wohin die Hinterfragung der ErfahrungssĂ€tze fĂŒhrt und ob dies schliesslich zur Auflösung des Rechtsgebiets hin zu einer rein ökonomischen Analyse fĂŒhrt. Er ist der Meinung, dass die Vorhersehbarkeit und damit die Rechtssicherheit nicht verbessert wird, sondern es schliesslich darauf ankommt, wer die Beweislast trĂ€gt. Diese Ăberlegungen laufen wiederum auf die anfĂ€ngliche Frage zurĂŒck, was Rechtsfrage und was Tatfrage ist.
Anne Niedermann (Institut fĂŒr Demoskopie Allensbach) bestĂ€tigt, dass beim Zugang der Empirie zu Fragen der Verwechslungsgefahr durchaus gute wissenschaftliche Methoden zur VerfĂŒgung stehen. Bingener gibt allerdings zu bedenken, dass diese Methoden den Ămtern nicht zugĂ€nglich sind und sich viele Einzelanmelder diese aufwendigen empirischen AbklĂ€rungen nicht leisten können. Thouvenin stimmt diesem Argument zu, weist aber ausdrĂŒcklich darauf hin, dass aus diesem Grund die ErfahrungssĂ€tze an die Empirie angepasst werden mĂŒssen.
Ritscher bemerkt abschliessend, dass man die Frage der Verwechslungsgefahr nicht zu stark auf die Tatsachenebene behandeln sollte, da der Schutzbereich darunter leidet. Die Marke sollte letztlich den Schutz bekommen, den sie verdient.
Kai Schmidt-Hern (Rechtsanwalt, Berlin) hĂ€lt im Rahmen der Diskussionsrunde einen kurzen Vortrag zur BerĂŒcksichtigung der BegleitumstĂ€nde in der Markenverwendung in der BGH-Rechtsprechung, der EuGH-Rechtsprechung und der Rezeption des EuGH durch den BGH. Schmidt-Hern wirft die Frage auf, ob zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr auch das «PrĂ€sentationsumfeld» rund um die verwendete Marke uneingeschrĂ€nkt relevant ist.
Anhand einiger Entscheide des BGH (darunter «Pralinenform» (GRUR 2007, 780) und «Internetversteigerung» (GRUR 2004, 780)) zeigt er die Argumentation des BGH auf, wonach es auf die abstrakte Gefahr der Verwechslung von Zeichen ankommt, und nicht auf klÀrende Hinweise oder andere UmstÀnde in der konkreten Situation.
Der EuGH hĂ€lt im Fall «Puma/Sabel» (EuGH vom 11. November 1997, C-251/95) fest, dass die Verwechslungsgefahr unter BerĂŒcksichtigung aller UmstĂ€nde des Einzelfalls umfassend zu beurteilen ist. Seit «LâOrĂ©al/Bellure» (GRUR 2009, 756) fordert der EuGH bei DoppelidentitĂ€t zusĂ€tzlich, dass im konkreten Fall die Herkunftsfunktion oder andere Markenfunktionen beeintrĂ€chtigt werden. Damit öffnet der EuGH den immaterialgĂŒterrechtlich geprĂ€gten Verletzungstatbestand der DoppelidentitĂ€t fĂŒr eine lauterkeitsrechtlich geprĂ€gte Betrachtung des Einzelfalls. Im Urteil «Google France» (EuGH vom 23. MĂ€rz 2010) wurde eine Verwechslungsgefahr bei DoppelidentitĂ€t nur bei einer FunktionsbeeintrĂ€chtigung angenommen. Das PrĂ€sentationsumfeld wird somit berĂŒcksichtigt. Diese Rechtsprechung wurde auch durch den BGH aufgenommen («Damen-Hose MO», GRUR 2019, 1289).