Praxis des Immaterialgüterrechts in der Schweiz
Die diesjährige, wiederum von Michael Ritscher konzipierte und geleitete und von Christoph Gasser organisierte INGRES-Tagung zur Praxis des Immaterialgüterrechts in der Schweiz fand zum ersten Mal als hybride Veranstaltung statt. Es trafen sich über 100 Teilnehmer vor Ort im Lake Side Zürich und über 40 nahmen virtuell teil. Die Teilnehmerschaft setzte sich aus Vertretern von Gerichten und Behörden, Hochschuleinrichtungen sowie der Rechtsanwaltschaft und Wirtschaft zusammen.

Cette année, la conférence INGRES sur la pratique du droit de la propriété intellectuelle en Suisse, à nouveau conçue et présidée par Michael Ritscher et organisée par Christoph Gasser, s’est déroulée pour la première fois sous la forme d’un événement hybride. Plus de 100 participants se sont rencontrés sur place à Lake Side Zurich et plus de 40 virtuellement. Les participants comprenaient des représentants des tribunaux et des autorités, des établissements d’enseignement supérieur, des professions juridiques et du monde des affaires.

Franziska Gall, MLaw, LL.M., Zürich.

Saskia Markiewicz, MLaw, Zürich.
I. Patentrecht
1. Rechtsprechung BPatGer – Antje Rey

Antje Rey (Patentanwältin, Zürich) präsentierte zu ausgewählten Fragen des Urteils BPatGer vom 3. Mai 2021, O2019_005, «Schnittschutzstreifen». Klagepatente waren das Patent CH 703 691 C1 sowie der Schweizer Teil des EP 2 405 067 B1. Gegenstand der durch das Patent geschützten Erfindung waren Dichtbänder in Badewannen und Duschen. Zur Abdichtung dient eine Silikondichtung, welche alle paar Jahre ersetzt werden muss. Damit das Dichtband beim Herausschneiden nicht verletzt wird, sehen die Klagepatente einen Schnittschutzstreifen vor.

Parallel zur eingereichten Klage in der Schweiz war ein Einspruch am EPA hängig. Das europäische Klagepatent wurde im Rahmen des Einspruchsverfahrens vor der Beschwerdekammer des EPA – aufgrund fehlender Neuheit – widerrufen. Für das vorliegende Verfahren vor BGer war folglich lediglich das Schweizer Klagepatent relevant.

Strittig war insb. das Merkmal des «flexiblen Schnittschutzes». Nach augenscheinlicher Betrachtung kam das BPatGer zum Schluss, dass die Ausführungsformen der Beklagten das Merkmal des flexiblen Schnittschutzes nicht erfüllten und daher keine Verletzung des Klagepatents vorlag.

Rey hob zunächst hervor, dass Entscheidungen der Beschwerdekammer des EPA für Schweizer Gerichte nicht rechtlich bindend sind. Verdeutlicht wurde dies im vorliegenden Entscheid anhand der Auslegung des Begriffs «Klebefläche». So kann die unterschiedliche Auslegung eines Begriffs vor der Beschwerdekammer des EPA und dem BPatGer darin resultieren, dass nur vor erstgenannter Instanz das Patent widerrufen wird. Zudem gab Rey die von der Beklagten an der Hauptverhandlung vertretene Theorie zu bedenken, dass der vertragsrechtliche Grundsatz «in dubio contra stipulatorem» auch oder erst recht bei der Auslegung von Patentansprüchen gelten soll.

Weiter präsentierte Rey das Urteil BPatGer vom 6. Oktober 2020, O2019_004, «Ethereum/Blockchain». Einleitend erklärte Rey, dass die Daten bei der Ethereum-Blockchain auf verschiedenen Datenträgern gespeichert werden. Die einzelnen Datenverarbeitungssysteme werden dabei als Knoten (sog. «nodes») bezeichnet. Um einen redundanten Datenaustausch sicherstellen zu können, muss die Software immer wieder neue Knoten finden, mit denen eine Verbindung hergestellt werden kann. Das Klagepatent EP 1 151 591 B1 beanspruchte die dezentrale Speicherung von Daten und den Zugriff auf Daten in verteilten und vernetzten Rechnerstrukturen (sog. «Peer to Peer Protokoll»). Zweck der Erfindung ist, dass auch im Falle eines Teilausfalls des Datennetzwerkes eine schnelle Versorgung mit Daten sichergestellt werden kann. Entscheidend für die geltend gemachte Patentverletzung war – im Detail – das Verschieben von Daten zwischen den Knoten. Die Definition des BPatGer umfasste zwei Teilschritte: Daten müssen von ihrem ursprünglichen Speicherort an einen neuen kopiert und am ursprünglichen Speicherort gelöscht werden.

Bei der Ausführungsform der Beklagten wird bei einem Ausfall eines Knoten A das Kopieren von Daten des Knoten C an den Knoten D ausgelöst. Das BPatGer erachtete den Ausfall des Knoten A nicht als Teilaspekt des Datenverschiebungsprozesses, sondern als zufälligen Schritt. Definitionsgemäss lag damit keine Verschiebung von Daten vor, weshalb keine Verletzung des geltend gemachten Anspruchs vorlag.

Rey führte aus, dass offenbleibt, inwiefern sich die Benutzung der Ethereum-Software durch Anwender im Ausland in einer Verletzung eines Schweizer Patents bzw. Schweizer Teils eines CH EP Patents manifestieren kann. Zudem ist interessant, dass mit dem vorliegenden Entscheid die Blockchain-Technologie vor BPatGer Einzug erhalten hat.

2. Teilverzicht im Zivilprozess und Sicherstellung der Parteientschädigung bei NPE – Peter Ling

Peter Ling (Rechtsanwalt, Zürich) referierte zuerst zum Teilverzicht im Zivilprozess. Ling führte aus, dass der Beklagte in einem ordentlichen Verfahren zwei Möglichkeiten hat, namentlich die Verletzungsklage resp. Nichtigkeitswiderklage oder die Einwendung der Nichtigkeit im Verletzungsprozess. Die Klägerin hingegen kann das Klagepatent einschränken und bei Einwendungen entweder vor dem IGE oder EPA einen Teilverzicht erklären oder im Verfahren als verbale Einschränkung «inter partes» geltend machen, dass das Patent in einem eingeschränkten Rahmen gültig ist. Eine solche Einschränkung erfordert zunächst das Hinzufügen von Merkmalen.

Das Urteil BPatGer O2016_012 thematisiert zunächst die prozessuale Natur des Teilverzichts. Ist der Teilverzicht eine Beschränkung der Klage, ist dieser gemäss Art. 227 Abs. 3 ZPO jederzeit zulässig. Ist der Verzicht hingegen eine Klageänderung, ausgenommen es handelt sich um Noven i.S.v. Art. 229 ZPO, ist dieser nur bis Aktenschluss zulässig. Durch das Hinzufügen zusätzlicher Merkmale wird so ein neuer Anspruch und damit ein neuer Sachverhalt geschaffen. Im Urteil BPatGer O2016_012 stellte sich die Frage der prozessualen Natur bei Teilverzicht der Klägerin beim IGE nach Abschluss des Schriftenwechsels und einem Fachrichtervotum. Das BPatGer hielt fest, dass ein Teilverzicht gemäss Art. 28a PatG «ex tunc» wirkt, weshalb eine neue Tatsache resp. ein echtes Novum i.S.v. Art. 229 Abs. 1 lit. a ZPO vorliegt. Es führte zudem aus, dass die Tatsache, dass die Klägerin die Verzichtserklärung beim IGE bereits vor Aktenschluss hätte vornehmen können, resp. dass der Teilverzicht und somit die neue Tatsache von der Klägerin selbst geschaffen wurde, nichts daran ändert, dass die eingeschränkte Fassung des Klagepatents ein echtes Novum darstellt. Massgebend ist der tatsächliche Zeitpunkt der Einschränkung.

Der Entscheid des BPatGer wurde in BGE 146 III 416 aufgehoben. Das BGer führte aus, dass sowohl der Antrag «inter partes» auf Patenteinschränkung im Zivilprozess als auch die Einschränkung im Verfahren vor dem IGE unter novenrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sind. Das BGer geht zwar insofern mit dem BPatGer einher, als dass gemäss einer strikt wörtlichen Auslegung von Art. 229 Abs. 1 ZPO die Einschränkung als echtes Novum zu qualifizieren ist. Selbstgeschaffene Noven, die bereits vor Aktenschluss hätten eingebracht werden können, widersprechen jedoch der Eventualmaxime. Vielmehr sind solche Potestativnoven wie unechte Noven zu behandeln. Das Vorbringen nach dem Fachrichtervotum war vorliegend verspätet. Gegenstand des Urteils bildete daher das Patent in seiner ursprünglichen Fassung. Dieses existierte jedoch aufgrund der beim IGE vorgenommenen Einschränkung nicht mehr, was wiederum den Verlust des Rechtsschutzinteresses herbeiführte. Das Verfahren war daher als gegenstandslos abzuschreiben.

Es ist fraglich, welche Fälle von der Definition des BGer (E. 5.3) für Potestativnoven, namentlich «nachträglich von einer Partei geschaffene Noven, die – abhängig vom Entscheid dieser Partei – bereits vor Aktenschluss hätten existieren können», erfasst werden. Neben dem Teilverzicht vor IGE i.S.v. Art. 24 PatG sollte gemäss Ling auch die zentrale Beschränkung vor EPA i.S.v. Art. 105a EPÜ von dieser Definition erfasst sein. Offen bleibt, ob auch die Aufrechterhaltung in geänderter Fassung im Einspruchsverfahren i.S.v. Art. 101 Abs. 3 EPÜ resp. im Beschwerdeverfahren i.S.v. Art. 111 Abs. 2 i.V.m. 101 Abs. 3 EPÜ und die Einschränkung durch Gericht im parallelen Nichtigkeitsverfahren, angestrengt von einem Dritten i.S.v. Art. 27 PatG, als Potestativnoven zu qualifizieren sind.

Anhand des Urteils BPatGer O2018_004, «Laserflüssigkeitsstrahllenkungsverfahren», stellte Ling den Sachverhalt dar, wonach sich die Beklagte auf den Teilverzicht der Klägerin vor IGE als Novum beruft. Das BPatGer hält fest, dass die eingeschränkte Fassung des Klagepatents für die Hauptklage und Widerklage massgebend ist. Folglich kann sich die Klägerin gemäss dem BPatGer auch im Rahmen der Verletzungsklage auf diesen Sachverhalt berufen. Ling geht davon aus, dass die Zulässigkeit von der Frage abhängt, wann die Gegenstandslosigkeit im Verletzungsverfahren wirkt. Es ist abzuwarten, wie sich das BGer dazu positionieren wird.

Anschliessend referierte Ling zur Sicherstellung der Parteientschädigung bei NPE anhand des Urteils BPatGer vom 3. März 2021, O2020_004. Als Auffangtatbestand sieht Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO die Leistung einer Sicherheit bei erheblicher Gefährdung der Parteientschädigung aus anderen Gründen vor. Die Beklagte stellte vorliegend das Gesuch um Leistung der Sicherheit für die Parteientschädigung jedoch erst in der Instruktions- und Vergleichsverhandlung. Obwohl es «de lege ferenda» wünschenswert wäre, dass Gesellschaften, die nicht operativ tätig sind und nicht nachweisen können, dass sie die allfällige Parteientschädigung bezahlen können, die Leistung einer Sicherheit erbringen, hat das BPatGer das Gesuch abgewiesen. So greift Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO «de lege lata» nur bei erheblicher Gefährdung der Parteientschädigung. Zudem ist die Beklagte beweisbelastet, wobei das Regelbeweismass, namentlich volle Überzeugung des Gerichts, auch im summarischen Verfahren gilt. Vorliegend konnte dieser Beweis nicht erbracht werden.

Peter R. Thomsen (Patentanwalt, Basel) stellte die Frage, ob das Urteil anders hätte ausfallen können, wenn die Beweislage gegen die operativ nicht tätige Gesellschaft etwas stärker gewesen wäre. Ling äusserte, dass dies wohl nicht der Fall gewesen wäre. So soll das Prozessieren insb. für kleinere Parteien nicht noch teurer und schwieriger werden. Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO kann folglich nur bei ausserordentlichen Fällen zur Anwendung gelangen, die mit Art. 99 Abs. 1 lit. a–c ZPO vergleichbar sind. Ritscher erinnerte an die Sicherheitsleistungen für vorsorgliche Massnahmen. Auch in diesen Fällen ist die Praxis des Gerichts nicht einheitlich. Gerichte zeigen sich zurückhaltend mit dem Erlass vorsorglicher Verbote und machen diese von Sicherheitsleistungen abhängig. Mark Schweizer (Präsident BPatGer) ergänzte, dass auch der Justizgewährsanspruch mitspielt: Bei einer tiefen Schwelle zur Kaution wäre etlichen Menschen der Zugang zum Gericht verweigert.

3. Geschäftsbericht, Ablauf zweiter Teil Stufenklage und Unverzüglichkeit von Noveneingaben – Mark Schweizer

Mark Schweizer (Präsident BPatGer) stellte den Geschäftsbericht 2020 vor. Insgesamt gab es weniger Eingänge im summarischen Verfahren (vier), dafür mehr ordentliche Verfahren (18) als gewöhnlich. Die Einnahmen waren im Jahr 2020 etwas tiefer (CHF 796’605) als im vorangehenden Rekordjahr (CHF 1 051’936). Aufgrund der anhaltenden Pandemie ist das Defizit (CHF 796’700) im Vergleich zum Vorjahr (CHF 701’982) nicht stark angestiegen. Die Erledigungen im ordentlichen Verfahren (14 resp. 30 im Vorjahr) und summarischen Verfahren (drei resp. 10 im Vorjahr) befinden sich im langjährigen Durchschnitt. Es bestehen 24 Pendenzen im ordentlichen Verfahren (resp. 20 im Vorjahr) und eine Pendenz im summarischen Verfahren (resp. keine im Vorjahr). Schliesslich ist seit Amtsantritt von Schweizer die Ausstandsquote des Präsidenten des BPatGer stark gesunken. Im April 2018 befand sich diese bei über 30 Prozent, während diese im März 2021 unter 10 Prozent lag. Als Grund führte Schweizer die zurückhaltende Handhabung von Ausstandsgesuchen aus.

Schweizer widmete sich als Nächstes dem Ablauf der Stufenklage: Die erste Stufe wird mit Teilurteil abgeschlossen. Im Falle einer Verletzung wird typischerweise ein Unterlassungsgebot und eine Verpflichtung der Beklagten zur Auskunft ausgesprochen (z.B. über die gewerblichen Abnehmer und entsprechende Rechnungen). Die Verpflichtung der Beklagten zur Auskunft bezieht sich jedoch nur auf den Bruttoumsatz. Im Rahmen der Auskunftsverpflichtung sind auch, sofern nicht darauf verzichtet wird, abzugsfähige Kosten zu substantiieren. Daraufhin wird der Klägerin eine Frist zur Bezifferung der Forderung angesetzt. Dabei besteht keine Verpflichtung der Beklagten zur Offenlegung der Gestehungskosten. Eine solche Offenlegung liegt vielmehr im Interesse der Beklagten. Die Abnahme weiterer Beweismittel ist jedoch möglich, sofern die Bezifferung der Forderung erfolgte. Schweizer führte aus, dass der zweite Teil der Stufenklage kein neuer Prozess, sondern die Fortsetzung des Verfahrens darstellt. Die Parteien können sich daher nicht darauf verlassen, dass in diesem Verfahrensstadium ein doppelter Schriftenwechsel mit unbeschränktem Novenrecht erfolgt.

Weiter referierte Schweizer zur Unverzüglichkeit der Noveneingaben. Gemäss dem Wortlaut von Art. 229 ZPO sind Noven zu Beginn der Hauptverhandlung geltend zu machen. Es kann auch die Auffassung vertreten werden, dass Noven unverzüglich nach deren Entdeckung resp. Entstehung geltend zu machen sind. Das BPatGer spricht sich im Urteil vom 17. Dezember 2019, O2019_008, für Letzteres aus. Noven sind demnach «unverzüglich, d.h. innert rund zehn Arbeitstagen seit ihrer Entstehung oder Entdeckung» in das Verfahren einzubringen. Ansonsten liegt ein Verstoss gegen Treu und Glauben (Art. 52 ZPO) sowie das Prinzip der zügigen Prozessführung (Art. 124 Abs. 1 ZPO) vor. Anders verhält sich dies jedoch, wenn eine Frist zur Stellungnahme in der Sache läuft. Ansonsten müsste die Gegenpartei in solchen Fällen innert zehn Tagen auf die Noveneingabe reagieren, was zu einem «Novenschriftenwechsel» während laufender Frist zur Stellungnahme führen würde.

Thierry Calame (Rechtsanwalt, Zürich) erachtete es als wünschenswert, dass die Frist zur Bezifferung der Forderung durch die Klägerin nicht zu knapp angesetzt wird, denn das Gericht erwartet in diesem Zusammenhang wohl auch, dass das Wahlrecht (z.B. Schadenersatz) ausgeübt wird. Dies ist zeitaufwändig und erfordert teilweise ein Privatgutachten. Ein weiterer Teilnehmer erkundigte sich nach den Entschädigungszahlen bei Vergleichen. Gemäss Schweizer ist dies stark einzelfallabhängig. Es komme aber durchaus vor, dass diese Zahl CHF 1 Mio. beträgt. U.a. wird dabei die Grösse des Marktes und teilweise ein Vergleich mit dem Ausland berücksichtigt. Zudem ist nur der Anteil des Gewinns herauszugeben, der auf die Patentverletzung zurückzuführen ist, was i.d.R. lediglich einen kleinen Bruchteil des Verkaufspreises darstellt und unsicher ist. Diese Einschätzungen sind dem Richter überlassen. Meinrad Vetter (Vizepräsident HGer AG) merkte an, dass die meisten Fälle mit aussergerichtlichen Vergleichen abgeschlossen werden, deren Zahl nicht offengelegt wird. Schliesslich führte Ritscher aus, dass Entstehungskosten abzugsfähig sind. Die Offenlegung der entsprechenden Zahlen hat unverzüglich mit Rechnungsstellung zu erfolgen.

II. Urheber- und IT-Recht
1. Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat gegen Christian J. Jenny und Beschluss der Eidg. Schiedskommission vom 10. Mai betr. Gemeinsamer Tarif 12 – Willi Egloff

Willi Egloff (Rechtsanwalt, Bern) präsentierte zunächst den Entscheid der Staatsanwaltschaft gegen Christian J. Jenny vom 15. März 2021. Gemäss Anklageschrift war der Beschuldigte Initiator und Produzent von ca. 22 Theater-Aufführungen der «Trittligass-Balladen». Im Rahmen dieser Aufführungen wurden urheberrechtlich geschützte Liedpassagen des Musicals «Eusi chlii Stadt» in abgeänderter Form und ohne Zustimmung des Urhebers verwendet und damit gegen Art. 67 URG verstossen. Egloff stellte drei durch den Beschuldigten abgeänderte Versionen vor. Es wurden Textteile verändert und weggelassen. Sollte dies per se bereits dazu führen, dass eine Verletzung von Art. 67 URG vorliegt, würde dies gemäss Egloff zu einem stossenden Endergebnis führen. So dürfte dann vieles im Alltag als Urheberrechtsverletzung eingestuft werden (z.B. Kirchengesänge).

Der Beschuldigte wurde vom Gericht freigesprochen. Laut Medienberichten wurde dies damit begründet, dass die Aufführungen von Jenny als Parodien gemäss Art. 11 Abs. 3 URG zu würdigen sind. Gemäss Egloff ist dieses Ergebnis zwar aus einer kulturellen Perspektive verständlich, rechtlich jedoch nicht überzeugend. So kann etwa das Weglassen von Textpassagen weder eine Parodie nach Art. 11 Abs. 3 URG begründen noch eine Veränderung i.S.v. Art. 11 Abs. 1 URG darstellen. Das Werk besteht vielmehr in der Fassung des Urhebers weiter und wird lediglich in einer anderen Form zugänglich gemacht, was urheberrechtlich nicht unzulässig ist.

Weiter präsentierte Egloff den Beschluss des ESchK vom 10. Mai 2021 betr. GT 12. Inhaltlich ging es dabei um den Tarif für zeitversetztes Fernsehen. In einem Entscheid der ESchK von 2009 wurde der GT 12 erstmals genehmigt. Zeitversetztes Fernsehen wurde dabei als Eigengebrauch i.S.v. Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 URG qualifiziert. Nach mehreren Entscheidverfahren und einer aussertariflichen Branchenvereinbarung können gemäss Egloff drei Haupterkenntnisse gezogen werden: Zunächst ist Replay-TV ein erweiterter Eigengebrauch i.S.v. Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 URG. Eine aussertarifliche «Branchenvereinbarung» ist hingegen unzulässig und kann nur in Ausnahmefällen akzeptiert werden. Zudem dürfen Tarife nur Bestimmungen enthalten, die die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen oder die Festlegung der dafür geschuldeten Vergütung betreffen.

Im Rahmen der anschliessenden Diskussionsrunde gab Egloff kund, dass der Entscheid der ESchK sowohl für Urheber als auch für Nutzer eine gute Nachricht ist. Auf die Frage von Ritscher, um welche finanziellen Beträge es im Rahmen des GT 12 geht, erläuterte Egloff, dass durch das Überspringen von Werbung jährlich CHF 50–60 Mio. verloren gehen. Aus dem Onlinepublikum wurde die Frage gestellt, ob Art. 10 Abs. 1 URG nicht auch das Recht zur Bestimmung umfasst, ob ein Werk gesamthaft oder nur selektiv verwendet wird. Egloff erwiderte darauf, dass Art. 10 Abs. 1 URG nicht vorschreibt, dass ein Werk gesamthaft aufgeführt werden muss. Reinhard Oertli (Rechtsanwalt, Zürich) führte dazu aus, dass selektive Ausschnitte den Sinn des Werkes verändern könnten und sich der Urheber dagegen geschützt auf sein Urheberpersönlichkeitsrecht wehren könnte.

2. IT-Recht: Aktuelle Entwicklungen – Samuel Klaus

Samuel Klaus (Rechtsanwalt, Zürich) referierte zuerst über aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit Open Source Software (OSS). OSS bezeichnet Lizenzmodelle, bei welchen ein möglichst freier Zugang zur Software und deren Weiterentwicklung gewährt wird. Bei vielen OSS-Lizenzmodellen besteht eine Pflicht zur Offenlegung des Source Codes (sog. Copyleft als Gegenpol zum Copyright). Zudem ist im Medienbereich die Creative Commons (CC) Lizenzfamilie mit diversen Ausprägungen bekannt. Klaus betonte, dass OSS-Komponenten in den meisten elektronischen Produkten enthalten sind (z.B. iOS, macOS sowie Android), weshalb zunehmend Rechtsstreitigkeiten in diesem Gebiet zu erwarten sind.

Klaus stellte zwei Entscheide vor: Der erste Entscheid betraf das Urteil HGer ZH HG-180107, «Flickr», wobei eine Abmahnung aufgrund Nichtbeachtung der CC-Lizenzbedingungen bei Bildern, namentlich bzgl. Verlinkungen und Quellenangaben, erfolgte. Dies bekräftigte, dass OSS- sowie CC-Vorgaben zu beachten sind. Im vorliegenden Fall erfolgte eine negative Feststellungsklage eines Schweizer Medienunternehmens gegen den deutschen Fotografen, wobei das HGer festhielt, dass das Medienunternehmen dem Fotografen nichts schuldete.

Dass OSS-Streitigkeiten relevante Streitwerte beinhalten, zeigt der US-Entscheid «CoKinetic vs Panasonic». U.a. klagte CoKinetic auf Schadenersatz in Höhe von über USD 100 Mio. auf der Grundlage von angeblichen Verletzungen der OSS-Lizenzbedingungen der GNU General Public License v2.0 (GPLv2). Die Beklagte, namentlich Panasonic, vertrieb die Inflight-Entertainment Hardware. Das Betriebssystem beruhte dabei auf OSS unter der GPLv2. Panasonic legte den Source Code des Betriebssystems nicht offen. Dies erschwerte der Konkurrentin, namentlich CoKinetic, die Herstellung von Software zum Einsatz auf den genannten Systemen. Die Verletzung der OSS-Bedingungen wurde durch eine gütliche Vereinbarung gelöst. Solche OSS-Fragestellungen werden, so Klaus, zunehmend auch in der Schweiz relevant. In der Praxis stellen sich solche Fragen u.a. bei Verhandlungen von Verträgen – Was darf eingesetzt werden? Wie darf es eingesetzt werden? – und Transaktionen resp. Firmenübernahmen (z.B. Durchführung einer OSS-Due Diligence, Prüfung potenziell negativer Auswirkungen bei OSS-Übernahmen).

Weiter widmete sich Klaus der Thematik des Datenzugangs. Dabei liegt den Begriffen Datensouveränität, Datenherrschaft und Datenhoheit die Frage nach der Verfügungsmacht zugrunde. Aufgrund der zunehmenden Auslagerung von Software, Datenhaltung und der sog. Cloud stellt sich insb. die Frage, wo und bei wem die Daten liegen. Diese Problematik illustrierte Klaus anhand des UK-Entscheids «Trant Engineering vs Mott MacDonald»: Mott MacDonald führte Planung und Design eines Bauprojekts im Umfang von GBP 55 Mio. mit Building Information Modeling (BIM) für den Bauherrn Trant aus. Mott MacDonald sperrte jedoch den Datenzugang zu den digitalen Modellen auf der BIM-Plattform aufgrund Uneinigkeiten über die Rechnungen. Das Gericht erliess eine einstweilige Verfügung auf Datenzugang, da ohne diesen die Wiederholung von ca. einem Jahr Projektarbeit erfolgen müsste.

Klaus wies darauf hin, dass sich das HGer ZH im Entscheid HG-150185 bereits mit dem Recht auf Datenzugang beschäftigt hat. Aufgrund eines Application Service Providing (ASP)-Vertrags erfolgte die Speicherung der Daten des Anwenders auf den Systemen des Anbieters. Dieser Vertrag regelte den Datenzugang bzw. die Herausgabe resp. Migration der Daten bei Vertragsende jedoch nicht. Das HGer führte aus, dass bei einem Fehlen einer solchen Regelung eine Vertragslücke vorliegt. Zudem bestätigte es das Recht des Anwenders auf Datenzugang. Aufgrund der konkreten Umstände versagte das HGer dem Anwender aber den Anspruch auf eine bestimmte Form der Herausgabe bzw. Transformation der Daten. Letztere Frage, so Klaus, ist jedoch einzelfallabhängig zu beurteilen.

Schliesslich zeigte Klaus auf, dass das Recht auf Datenzugang bei Konkurs des Anbieters nicht zielführend ist. Die Aussonderung i.S.v. Art. 242 SchKG bezieht sich nur auf bewegliche Sachen. Daten sind jedoch nicht als bewegliche Sachen zu qualifizieren. Art. 242b E-SchKG regelt im Rahmen der Distributed Ledger Technology (DLT)-Vorlage den Zugang zu allgemeinen Daten und wird voraussichtlich im August 2021 in Kraft treten.

Kurt Sutter (Patentanwalt, Zürich) merkte an, dass neben dem Datenzugriff i.d.R. auch die Dokumentation zur Interpretation der Daten erforderlich ist. Klaus führte aus, dass in der Praxis auch entsprechender Support zu den Daten geleistet werden muss. Dies geht jedoch nicht so weit, dass ein Anbieter dazu verpflichtet wird, eine Anleitung zu den Daten zu erstellen. Die Teilnehmer diskutierten anschliessend die Relevanz des Lizenzmanagements und der Dokumentation aufgrund der zahlreichen OSS-Bedingungen.

III. Kennzeichenrecht
1. Was bedeutet die Rettung der Welt für das Markenrecht? – Marc Steiner

Marc Steiner (Richter BVGer) legte zuerst die Vernetzungen zwischen dem Immaterialgüter-, Wettbewerbs-, Vergabe- und Beihilferecht dar.

Im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens führte Steiner aus, dass seit dem 1. Januar 2021 auf Bundesebene das Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) gilt, welches die Nachhaltigkeit zum Ziel hat. Zudem erfolgt der Zuschlag nicht dem wirtschaftlich günstigsten, sondern vorteilhaftesten Angebot, was als Bekenntnis zum Qualitätswettbewerb gilt. Auch europäische Wettbewerbsbehörden nehmen die Nachhaltigkeit als Thema auf. Dies setzt voraus, dass Märkte teilweise nicht in erster Linie durch Preiswettbewerb geprägt sind (sog. selektives Vertriebssystem).

Auch das Immaterialgüterrecht verbreitet sich vermehrt dort, wo ein Wettbewerb besteht, und weist dabei in Richtung Qualitätswettbewerb. Der Trend vom Preis- zum Qualitätswettbewerb zeigt sich auch am Beispiel «Swissness»: Produkte mit in vertrauenswürdiger Weise angepriesenen Merkmalen werden laut dem Evaluationsbericht des Bundesrates zur «Swissness»-Gesetzgebung vom 18. Dezember 2020 stärker nachgefragt, und es besteht eine Bereitschaft, mehr dafür auszugeben.

Steiner stellte das Urteil BVGer vom 25. Mai 2020, B-5011/2018, «SWISS RE – WE MAKE THE WORLD MORE RESILIENT», vor. Das BVGer führte aus, dass im wirtschaftlichen Kontext der Begriff «resilient» auch zur Bezeichnung eines regenerations- und entwicklungsfähigen Systems verwendet wird. Er führte zudem aus, dass Fachkreise, die über erhöhte Englischkenntnisse verfügen, «resilient» im entsprechenden Sinne verstehen, weshalb dieser Begriff als eine mögliche Eigenschaft von Wirtschaft beschreibend ist.

Es stellt sich daher die Frage, was nicht schutzfähig ist. U.a. führte Steiner aus, dass der Begriff «eco» früher beschreibend war. Heute wird bei diesem Begriff gemäss dem Urteil BVGer vom 10. Mai 2021, B-103/2020, «ECOSHELL [fig.]», erwartet, dass mehr als nur die umweltrechtlichen Mindeststandards erfüllt werden. In Zukunft wird es nach Steiner mehr Marken geben, die entweder Garantiemarken sind oder eine solche Funktion erfüllen.

In der Diskussionsrunde wurde eine Tendenz zur Förderung des Qualitätswettbewerbs festgestellt. Beim Begriff «eco» muss im Rahmen der Frage der Täuschungsgefahr jedoch aufgepasst werden, dass aus «greening» nicht «green washing» wird. Schliesslich wurde angemerkt, dass das BGer die Garantiemarke grds. beseitigt hat und dass diese seither nicht mehr aufgegriffen wurde. Steiner war der Auffassung, dass in Ursprungsbezeichnungen und der Zukunftsprägung von Märkten viel Potential besteht. Dies wird uns daher in den kommenden Jahren vermehrt beschäftigen.

2. BVGer – Katharina Niederberger

Katharina Niederberger (BVGer) stellte zunächst das Urteil BGer vom 8. März 2021, 4A_361/2020, «SWISS RE – WE MAKE THE WORLD MORE RESILIENT», vor. Gemäss der Praxis des IGE werden Warenmarken mit geografischen Angaben nur mit einem Zusatz in der Warenliste eingetragen, wonach die beanspruchten Waren aus dem Land der Herkunftsangabe stammen müssen. Das BGer stützte diese Praxis (BGE 132 III 770; BGer 4A_357/2015). Das IGE ersuchte das BGer um Bestätigung, dass diese Rechtsprechung auch bzgl. Dienstleistungen gilt. Die Markeninhaberin argumentierte hingegen mit Erfolg, dass dies u.a. zum Ausschluss aus dem Madrider System und zu einer Reduktion des Schutzumfanges führt. Das BGer betonte folglich, dass die Herkunft einer Ware produktbezogen (Art. 48 ff. MSchG) und diese einer Dienstleistung unternehmensbezogen (Art. 49 Abs. 1 MSchG) umschrieben wird. Da die Voraussetzungen nach Art. 49 Abs. 1 MSchG vorliegend qua Legaldefinition erfüllt sind, ist der Herkunftshinweis zutreffend. Folglich ist das Zeichen «SWISS RE – WE MAKE THE WORLD MORE RESILIENT», selbst wenn es als Herkunftsangabe aufzufassen wäre, zulässig i.S.v. Art. 2 lit. c sowie Art. 47 Abs. 3 MSchG.

Niederberger stellte folgend vier Entscheide des BVGer vor. Der erste Entscheid, namentlich das Urteil BVGer vom 2. September 2019, B-3234/2017, beschäftigte sich mit der Wortmarke «Weissenstein», was auch der Name für einen Bergrücken des Schweizer Juras ist. Das BVGer hielt fest, dass nicht jede Ideenverbindung zwischen einem Objekt und einer Gegend automatisch eine indirekte Herkunftsangabe darstellt, die eine Irreführungsgefahr schaffen kann. Vielmehr muss die indirekte Herkunftsangabe einen gewissen Grad an Bekanntheit geniessen (siehe BVGer B-2024/2013, E. 5.2; B-1785/2014, E. 3.3.2 und E. 3.7). Niederberger führte aus, dass im Rahmen der Einzelfallprüfung darauf abgestellt wird, ob eine gewisse Intensität der Ideenverbindung zwischen einem Objekt und einem Gegend vorliegt (siehe BGE 128 III 454). Wenn der fragliche Ort nicht als Produktions-, Fabrikations- oder Herstellungsort in Frage kommt, ist nicht von einer Herkunftsangabe auszugehen. Zudem fliesst die Bedeutung der fraglichen Region für das ganze Land in die Einzelfallbeurteilung ein (siehe Urteil BVGer B-734/2008, E. 8.5). Ebenfalls massgebend ist, dass eine Gedankenverbindung zum Begriff «Schweiz» und nicht nur zu einer bestimmten Region hervorgerufen wird (siehe BGer vom 9. Dezember 1968, PMMBl 69/23 ff.). Dies war vorliegend nicht der Fall, und das BVGer hiess die Beschwerde gut. Aufgrund der fehlenden Qualifikation als indirekte Herkunftsangabe, bleibt kein Raum zur Anwendung des Schutzes einer Regionenbezeichnung i.S.v. Art. 48c und 49 MSchG i.V.m. Art. 52c MSchV, weshalb diese neuen Artikel am Ergebnis nichts zu ändern vermögen.

Als Nächstes hielt Niederberger im Rahmen des Urteils BVGer vom 4. Februar 2020, B-151/2018, «BVLGARI» (zur Publikation vorgesehen), fest, dass geografische Namen resp. Zeichen keine Herkunftsangaben im markenrechtlichen Sinne sind, wenn sie sich durchgesetzt haben. BVLGARI konnte sich vorliegend u.a. für Schmuck, Uhren, Parfums, Lederwaren und Brillen auf die «secondary meaning» stützen, da irreführende Zeichen nicht täuschend sind, wenn sie sich im schweizerischen Verkehr durchgesetzt und daher eine eigenständige Bedeutung erlangt haben, die derart im Vordergrund steht, dass Täuschungen praktisch ausgeschlossen werden können (BGE 125 III 193 ff. E. 1e). Niederberger hielt fest, dass im Falle von «BVLGARI» eine langjährige Diversifikation erfolgte, so dass auch die neu eingetragenen Waren- und Dienstleistungen als Unternehmenshinweis verstanden werden.

Folgend führte Niederberger das Urteil BVGer vom 20. Juni 2019, B-2792/2017, aus. Die auf Art. 50a MSchG gestützte GUB/GGA-Verordnung für nicht landwirtschaftliche Erzeugnisse hält zum französischsprachigen Akronym «IGP», namentlich «identification géographique protégée», ein Freihaltebedürfnis für «IGP» als Vermerk für nicht landwirtschaftliche Produkte fest. Gemäss GUB/GGA-Verordnung ist die Verwendung solcher Vermerke verboten für Erzeugnisse, deren Bezeichnung nicht gemäss genannter Verordnung eingetragen wurde. Dabei steht eine Verwendung eines Zeichens auf Verpackungen und Etiketten einer markenmässigen Verwendung nahe. Aus Herstellersicht ist die Verwechslung eines Vermerks «IGP» mit einer Marke «IGP» in Alleinstellung daher nicht auszuschliessen. Das BVGer bestätigte folglich den Entscheid des IGE, «IGP» nicht als Wortmarke einzutragen.

Als letzten Entscheid stellte Niederberger das Urteil BVGer vom 20. Dezember 2019, B-1104/2018. vor. Dem Schriftzug der Wort-/Bildmarke «OSAKA SODA» ging ein Bild voraus. Das Rotkreuzgesetz schützt den roten Halbmond auf weissem Grund. Gemäss BGer wird das als Markenbestandteil verwendete geschützte Zeichen allein betrachtet. Dies ohne Rücksicht auf die Bedeutung, die diesem bzw. dem damit verwechselbaren Zeichen zusammen mit den anderen Elementen der Marke zukommt und der bezeichneten Waren und Dienstleistungen (BGE 134 III 406 ff. E. 5.2; BGE 140 III 251 ff. E. 5.3.1; BGE 135 III 648 ff. E. 2.7). Niederberger betonte, dass dieses Vorgehen erheblich vom Üblichen abweicht. Das BVGer hiess die Beschwerde gut, weil der strittige «Rote Halbmond» durch einen bandförmigen Zeichenbestandteil geschlossen wird. Aufgrund der Einheit dieser Elemente wird das Zeichen als Fantasiezeichen wahrgenommen.

3. Ausgewählte Entscheide des BGer, BVGer und kantonaler Gerichte – Andrea Schäffler

Andrea Schäffler (Rechtsanwältin, Zürich) referierte zu Entscheiden des Kennzeichenrechts des BGer, BVGer sowie des HGer BE. Zunächst ging Schäffler dabei auf drei Entscheide des BGer ein (BGer vom 29. April 2020, 4A_335/2019, «Merck»; BGer vom 26. Oktober 2020, 4A_129/2020, «von()Roll»; BGer vom 26. Oktober 2020, 4A_152/2020, «OTTO(‚S)»), welche allesamt ihren Ursprung in einer faktisch gelebten Co-Existenz hatten. Schäffler erläuterte, dass im Fall «Merck» eine Abrede zwischen den Parteien erfolgte, kraft welcher vereinbart wurde, wer die Marke wo und wie verwendet. Zentral war zudem die Frage, ob das Kennzeichen «Merck» sowohl offline als auch online kennzeichenmässig gebraucht wurde. Damit eine zeichenrechtlich relevante Benutzungshandlung vorliegt, ist gemäss BGer eine qualifizierte Beziehung der Zeichennutzung zu einem Gebiet erforderlich, was vorliegend der Fall war. Im Zusammenhang mit dem Fall «von()Roll» wurde im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages vereinbart, dass die Marke durch das veräusserte Unternehmen auch inskünftig gebraucht werden darf. Im Fall «OTTO(‚S)» wurde von einer Partei zumindest eine Koexistenz vorgeschlagen. Die Verhandlungen scheiterten jedoch. Schäffler zog das folgende Fazit: Co-Existenzen von Kennzeichen bieten enormes Konfliktpotential. Um ein solches zu minimieren, sollten insb. im Falle der Vertragsformulierung möglichst alle Eventualitäten beachtet werden.

Weiter ging Schäffler auf den Entscheid BVGer vom 14. Oktober 2020, B-2262/2018, «QR-Code», ein. Gegenstand des Entscheides war die Frage, ob ein QR-Code als Marke eingetragen werden kann. Das IGE wies das Eintragungsgesuch aufgrund fehlender Unterscheidungskraft ab. Das BVGer hingegen hiess die Beschwerde gut. Schäffler hob drei Punkte hervor: Das BVGer stimmte dem IGE zunächst insofern zu, als dass ein QR-Code für sich allein nicht unterscheidungskräftig sein kann. Es widersprach dem IGE aber, weil durch das mittig schwarz/weiss eingefügte Kreuz von einer Unterscheidungskraft ausgegangen werden kann. Aufgrund eines Disclaimers mit einem negativen Farbanspruch, namentlich dass das Kreuz weder in weiss auf rotem Grund noch in rot auf weissem Grund noch in irgendeiner anderen zu Verwechslungen mit dem Schweizer Kreuz oder dem Zeichen des Roten Kreuzes führenden Farbe abgebildet wird, konnte das Zeichen eingetragen werden.

Schäffler referierte weiter u.a. zum Entscheid HGer BE vom 24. Februar 2020, HG 19 89, «Ingwerer/Summerer». Darin klagte die Klägerin «Ingwerer» auf Rufausbeutung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. e UWG gegen «Summerer». Ein Argument des HGer zur Gutheissung der Beschwerde war die Produktenähe zwischen den von den Parteien vertriebenen Produkten (Ingwer- und Zitronenlikör). In Anbetracht der Wortendung anerkannte das HGer der Klägerin zudem eine hohe Kennzeichnungskraft. Aufgrund derselben Wortendung der Beklagten war das Risiko hoch, dass auch das Produkt «Summerer» der Klägerin zugeordnet werden würde. Die Beklagte brachte zudem keine sachlichen Gründe zur Wahl des Produktenamens vor.

Ritscher merkte an, dass insb. der Entscheid «QR-Code» viele Fragen aufwirft. Marian Weber interessierte, inwiefern ein QR-Code überhaupt in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 1 MSchG fallen und damit schutzfähig sein kann. Schäffler griff in diesem Zusammenhang die Frage der Unterscheidungskraft auf. Schweizer erwiderte, dass einem QR-Code per se keine Unterscheidungskraft zugesprochen werden kann, denn jeder QR-Code wird vom Betrachter gleich wahrgenommen, obwohl jeder für sich anders ist. Auch Eric Meier sprach in seiner Wortmeldung dem QR-Code aufgrund dessen Vergleichbarkeit mit einem Strichcode die abstrakte Unterscheidungskraft ab. Die Frage nach der markenrechtlichen Konsequenz der Kombination eines QR-Codes mit einem kennzeichnungskräftigen Element, blieb in der Diskussionsrunde offen.

4. Aktuelles aus dem Markenbereich des IGE– Eric Meier

Eric Meier (Vizedirektor des IGE und Leiter der Abteilung Marken & Designs) präsentierte die Entwicklungen des IGE im Markenbereich der letzten 12 Monate. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 20 000 CH-Markeneintragungsgesuche eingereicht. Dies waren 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Gemäss Meier ist die Budgetplanung für die nächsten 12 Monate eher schwierig. Dies insb. vor dem Hintergrund, dass die Gründe der Schwankungen nicht bekannt sind. Bzgl. der Einreichung von Widersprüchen (–10 Prozent) geht das IGE jedoch davon aus, dass in Krisenzeiten eine geringere Bereitschaft besteht, Geld zur Verteidigung einer Marke auszugeben. Zudem konnte die Erstprüfungsfrist von Schweizer Markeneintragungsgesuchen von 21 auf 18 Wochen gesenkt werden. Meier betonte sodann das Ziel, diese Frist weiter zu senken. Weiter wurden vom IGE Digitalisierungsprojekte fortgeführt. Neben der Digitalisierung der Prozesse für Patente und Designs wurde u.a. das Design- und Patentanmelderegister zentralisiert und die Kunden «elektronisch» in das IGE-Verfahren und die registerführenden Prozesse miteinbezogen. Schliesslich blieb die Markenrechtspraxis des IGE konstant: etwa 88.4 Prozent (Vorjahr 89.5 Prozent) Eintragungen und 3.2 Prozent (Vorjahr 2.9 Prozent) Zurückweisungen aufgrund absoluter Ausschlussgründe.

Meier machte auf eine Lockerung der Praxis in zwei Stossrichtungen aufmerksam: Erstens behandelt das IGE weitergehend als bisher eine besondere Art der Gestaltung des roten Halbmonds nicht als Verstoss gegen das Rotkreuzgesetz. Zweitens liegt auch kein Verstoss vor, wenn ein Halbmond lediglich bei isolierter Betrachtung der einzelnen Markenbestandteile identifizierbar ist und entweder im Gesamteindruck untergeht oder das Zeichen eine andere, selbständige Bedeutung erhält. Meier legte zudem dar, dass es insb. in Bezug auf kombinierte Wort-/Bildmarken schwierig ist, eine kohärente Praxis zu etablieren. Daher erfolgte eine Ergänzung der IGE-Prüfungshilfe. Dabei nahm das IGE einen Austausch mit dem EUIPO wahr und bestrebt eine möglichst einheitliche Praxis.

Auch im Rahmen der geografischen Herkunftsangaben kam es zu Anpassungen. Diese betreffen bilaterale Abkommen bzgl. Unterscheidungskraft, die Einschränkung auf einen Produktionsschritt im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 47 Abs. 3ter MSchG, Bezeichnungen mit doppelter Bedeutung und Freihaltebedürfnis an unbekannten ausländischen geografischen Namen sowie die Änderung der Einschränkungspraxis bei Dienstleistungen. Meier äusserte sich dahingehend, dass diese Schritte noch nicht ausreichend sind. Zudem wies Meier darauf hin, dass die Schweiz auf internationaler Ebene einen Alleingang macht und sich die Hoffnung auf die Übernahme der Praxis des IGE durch andere Länder nicht erfüllt hat. Das IGE schaffte daher eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe mit dem Ziel der Vereinfachung der Praxis. Den Vereinfachungsvorschlägen der Arbeitsgruppe folgt eine Konsultation der Praxis, welche voraussichtlich Anfang 2022 stattfinden wird.

Ritscher befürwortete die Bereitschaft des IGE zur Etablierung der präsentierten Änderungen und wies auf die Wichtigkeit des Austausches und der Zusammenarbeit zwischen der Praxis und dem IGE hin und schloss damit die Tagung mit der Ankündigung der Folgeveranstaltung am 5. Juli 2022 ab.