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20. Urheberrechtstagung: Veranstaltung des Schweizer Forum für Kommunikationsrecht (SF•FS) vom 14. November 2024

Das schweizerische Urheberrecht befindet sich seit Längerem in einer Art permanentem Revisionszustand, zentraler Treiber ist die Digitalisierung, namentlich die Entwicklungen im Bereich der generativen «Künstlichen Intelligenz» (KI). Unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Dr. Florent Thouvenin (Universität Zürich) und Prof. Dr. Cyrill Rigamonti (Universität Bern) wurde daher an der diesjährigen Urheberrechtstagung des Schweizer Forum für Kommunikationsrecht (SF•FS) nicht nur diskutiert, wie auf die neusten Herausforderungen zu reagieren ist, sondern auch, ob die jüngste Teilrevision die gesetzgeberischen Ziele erreichen und die Erwartungen der Betroffenen erfüllen konnte. In der ersten Hälfte der Veranstaltung wurde ein allgemeines Update über die relevanten Entwicklungen in der Schweiz und in der EU vermittelt und im Besonderen die Auswirkungen der Einführung des Schutzes nicht-individueller Fotografien, der erweiterten Kollektivlizenz (EKL) sowie der Bestimmung über die Providerhaftung auf die Rechtsrealität diskutiert. Im zweiten Teil wurde der Fokus auf die Entwicklungen im Bereich der generativen KI, namentlich auf die sog. «Retrieval Augmented Generation» (RAG) und ihre rechtliche Beurteilung gelegt. Geschlossen wurde die Vortragsrunde mit einem Ausblick auf die bereits bevorstehende nächste Revision.

Le droit d’auteur se trouve depuis longtemps dans une sorte d’état de révision permanent, le moteur central étant la numérisation, notamment les développements dans le domaine de l’«intelligence artificielle» (IA) générative. Sous la direction conjointe des professeurs Florent Thouvenin (Université de Zurich) et Cyrill Rigamonti (Université de Berne), le congrès sur le droit d’auteur organisé par le Forum Suisse pour le Droit de la Communication (SF•FS) s’est donc penché non seulement sur la manière de réagir aux nouveaux défis, mais aussi sur la question de savoir si la dernière révision partielle a atteint les objectifs législatifs et répondu aux attentes des personnes concernées. La première moitié de la manifestation a été consacrée à une mise à jour générale des développements pertinents en Suisse et dans l’UE, et plus particulièrement à l’impact sur la réalité juridique de l’introduction de la protection des photographies dépourvues de caractère individuel, de la licence collective étendue (LCE) et de la disposition relative à la responsabilité de services d’hébergement Internet. Dans la deuxième partie, l’accent a été mis sur les développements dans le domaine de l’IA générative, notamment sur la «Retrieval Augmented Generation» (RAG) et son évaluation juridique. La série de présentations s’est conclue par un aperçu de la prochaine révision déjà imminente.

Viviane Ammann,
MLaw, LL.M., wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Informations- und Kommunikationsrecht, Universität Zürich.

Lena Hänni,
MLaw, wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Informations- und Kommunikationsrecht, Universität Zürich.

Die Autorinnen danken allen Referierenden und Teilnehmenden des Panels für die konstruktiven Rückmeldungen zum Text.

I. Update Schweiz und EU

Als erste Referentin sprach RAin Dr. Anne-Virginie La Spada über die aktuelle urheberrechtliche Rechtsprechung der Schweiz und der EU. Nach einem kurzen allgemeinen Überblick über die bundesgerichtliche Rechtsprechung der letzten zwei Jahre,​1 widmete sie sich im Besonderen den «Feuerring»-Urteilen. Diese seien bedeutsam, da sie Prinzipien zur Interpretation der Individualität festlegen und insbesondere die Voraussetzungen klärten, unter denen ein Rechteinhaber Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung geltend machen könne. Zu Beginn erinnerte La Spada daran, dass Werke der angewandten Kunst nach Art. 2 Abs. 2 lit. f URG als geistige Schöpfungen geschützt seien (sofern sie individuell seien). Dem «Feuerring»-Entscheid ging 2011 der «Corbusier»-Entscheid​2 voran, in dem festgehalten wurde, dass die Individualitätsanforderungen im Bereich der Werke der angewandten Kunst im Vergleich zu anderen Werkkategorien recht hoch seien und im Zweifelsfall zugunsten eines Musters oder eines Modells zu entscheiden sei. Im Bundesgerichtsentscheid betreffend einen minimalistischen Barhocker von Max Bill wurde hingegen entschieden, dass die Individualität eher zu bejahen sei, wenn ein kleiner Gestaltungsspielraum vorhanden sei.​3 Der Minimalismus des Barhockers wurde nicht als Schutzhindernis, sondern vielmehr als Teil seiner Eleganz und der Reinheit seiner Form angesehen. Darin sah La Spada Ähnlichkeiten zum «Feuerring»-Entscheid von 2022.​4 Das Bundesgericht führte darin aus, dass die Schutzvoraussetzungen für alle Werkkategorien gleich seien, bei Werken der angewandten Kunst müsse jedoch auf den Teil des Werks abgestützt werden, in welchem sich die Kreativität und Individualität des Schöpfers überhaupt entfalten könne. Dies führe sodann in der Praxis zu hohen Anforderungen an die Werkindividualität, da nur auf begrenzte Aspekte des Werkes abgestellt werden könne. Es bejahte die Individualität des streitgegenständlichen Feuerring-Grills, da dessen Form überraschend und ungewöhnlich für einen Grill erscheine und stellte zudem fest, dass die Tatsache, dass der Feuerring-Grill auch Patentschutz erhalten habe, einem künstlerischen Ausdruck nicht per se entgegenstehe.

Betreffend die Gewinnherausgabe nach Art. 423 OR, die der Urheber des Feuerring-Grills gefordert habe, verneinte das Bundesgericht im Jahr 2024 die Bösgläubigkeit des Beklagten.​5 Es führt aus, dass an den Beweis des Kennenmüssens des Bestands und des Schutzumfangs fremder Urheberrechte hohe Anforderungen gestellt werden müssten, da diese mangels Register schwer recherchierbar seien. Ob ein Werk tatsächlich geschützt sei und in welchem Umfang, sei oft erst nach einem Prozess klar. Wer unter schwer einschätzbaren Umständen einer falschen, aber vertretbaren Ansicht folge, könne sich weiterhin auf seinen guten Glauben berufen. Auch das Abmahnschreiben des Klägers zerstöre den guten Glauben nicht ohne Weiteres. Für den Schadenersatz nach Art. 41 OR seien laut Bundesgericht keine Gründe ersichtlich, das Verschulden abweichend von der Bösgläubigkeit nach Art. 423 OR zu prüfen. Aufgrund dessen stehe dem Kläger nur ein Anspruch auf Wertersatz im Sinne einer Nutzungsentschädigung aus ungerechtfertigter Bereicherung nach Art. 62 OR zu. Der Anspruch richte sich nach einer üblichen Lizenzgebühr, falls diese nicht ermittelt werden könne, nach einer hypothetischen Lizenzgebühr. Das Gericht dürfe in analoger Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR die übliche oder hypothetische Lizenzgebühr auch nach Ermessen festsetzen. Das Bundesgericht hielt die von der Vorinstanz festgesetzte Lizenzgebühr von 10% des Nettoerlöses für angemessen.

La Spada konstatierte, dass die jüngste bundesgerichtliche Rechtsprechung tendenziell den urheberrechtlichen Schutz bei Werken der angewandten Kunst einfacher gewähre als die vorangehende und sah insbesondere die Vorgehensweise des Bundesgerichts bei der Beurteilung der Werkindividualität des Feuerring-Grills kritisch. La Spada beanstandete, dass die dabei verwendete Terminologie («die Wahl der Form erscheint für einen Grill überraschend und ungewöhnlich») an das Designrecht erinnere, da im Urheberrecht ein Werk unabhängig von seinem Zweck geschützt werde. Auch den Schutzumfang habe das Bundesgericht eher in einer designrechtstypischen Manier geprüft. Im Bereich der Vergütung merkte sie an, sei es schwierig auf Gewinnherausgabe nach Art. 423 OR zu klagen. Die Lizenzgebühr von 10% des Nettoerlöses sei im damaligen Urteil für Luxusprodukte gesprochen worden, weshalb nicht eingeschätzt werden könne, wie sie für andere Segmente ausfallen werde. Sie wies sodann auf die Problematik hin, wenn der Urheber keine Lizenzen vergeben möchte. In solchen Fällen schliesse das Bundesgericht im Rahmen von Schadensersatzklagen nach Art. 41 OR den Rückgriff auf die Lizenzanalogie jeweils aus, dies sei im «Feuerring»-Urteil jedoch nicht thematisiert worden. Problematisch sei bei der Konstellation der fiktiven Lizenz auch, dass Lizenzgebühren bereits nach fünf, die Herausgabe des Gewinns aber erst nach zehn Jahren verjährten. Aufgrund der Länge des Verfahrens habe der Kläger deshalb nur Lizenzgebühren der letzten fünf Jahre erhalten, obwohl in diesem Fall die gesamte Nutzung mehrere Jahre länger andauerte.

La Spada erklärte anschliessend, dass das Thema auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschäftige. Sie wies darauf hin, dass trotz der anerkannten Schutzfähigkeit von Gebrauchsgegenständen weiterhin Unsicherheiten bestünden. Bei einem Vorabentscheidungsverfahren im Zusammenhang mit Möbeln stelle sich die Frage, ob zur Bestimmung der Individualität auch der kreative Prozess sowie die Erklärungen des Urhebers berücksichtigt werden müssten oder ob der Fokus ausschliesslich auf das Werk selbst zu legen sei.​6 Ebenfalls befasse sich ein hängiges Vorabentscheidungsgesuch des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) mit ähnlichen Fragestellungen.​7 Der BGH möchte wissen, ob höhere Anforderungen an den urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst zu stellen seien und ob die subjektive Sicht des Schöpfers eine Rolle spiele. Ferner sei unklar, ob nachträgliche Umstände wie die Ausstellung eines Gebrauchsgegenstandes in Museen oder dessen Anerkennung in Fachkreisen als Indizien für dessen Werkcharakter herangezogen werden könnten. In diesem Zusammenhang stellte La Spada Überlegungen an, ob dies auch im Fall betreffend den Max-Bill-Barhocker eine Rolle gespielt habe, da dieser vermutungsweise nicht als schutzfähig angesehen worden wäre, wenn er lediglich in einem Warenhaus verkauft worden wäre. Anschliessend berichtete die La Spada über ein jüngst ergangenes Urteil des EuGH vom 24. Oktober 2024 betreffend Eames-Stühle.​8 Dabei war zu klären, ob nach der Berner Übereinkunft der urheberrechtliche Schutz für Werke der angewandten Kunst ausgeschlossen werden könne, wenn diese im Ursprungsland nicht geschützt seien. Denn in dem vorliegenden Ursprungsland, den USA, bestehe kein urheberrechtlicher Schutz für diese Art von Werken. Der Europäische Gerichtshof hielt fest, dass eine derartige Einschränkung nur vom europäischen Gesetzgeber vorgenommen werden könne. Alle EU-Staaten müssten Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich schützen, sofern sie die allgemeinen Schutzvoraussetzungen erfüllten, unabhängig vom Herkunftsland oder der Nationalität des Schöpfers.

Zum Abschluss verwies La Spada auf zwei Urteile betreffend Urheberrecht und künstliche Intelligenz. Ein erstinstanzliches Gericht in Prag befasste sich mit der Frage, ob ein durch einen Prompt generiertes Bild urheberrechtlich geschützt werden könne.​9 Das Gericht verneinte dies aufgrund fehlender menschlicher geistiger Schöpfung, allerdings bleibe Raum für eine andere Auslegung, falls eine stärkere kreative menschliche Mitwirkung, beispielsweise durch detaillierte Prompts oder nachträgliche Bearbeitungen, gegeben sei. Ein Urteil des Landgerichts Hamburg​10 prüfte die Rechtmässigkeit der Erstellung einer Datenbank mit fast sechs Milliarden Bildern, darunter auch urheberrechtlich geschützte Werke und dazugehörigen deskriptiven Texten und Links. Das Gericht prüfte drei Schrankenbestimmungen des UrhG. Es stellte fest, dass die Ausnahme für flüchtige Vervielfältigungen nicht anwendbar sei, da die gespeicherten Werke nicht automatisch gelöscht würden. Ebenso sei die Schranke für Text- und Data-Mining zwar grundsätzlich einschlägig, jedoch hätten die Rechteinhaber einen Nutzungsvorbehalt angebracht, sodass diese Schranke in diesem Fall nicht greife. Überraschenderweise bejahte das Gericht jedoch die Anwendung der Wissenschaftsschranke und argumentierte, dass eine Datenbank auch dann wissenschaftlichen Zwecken dienen könne, wenn sie gleichzeitig auch kommerziell genutzt werde. La Spada ist überzeugt, dass die beiden Urteile Auswirkungen auf die Rechtsentwicklung im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken bei der Entwicklung von KI-Systemen haben würden und dass sich in den kommenden Jahren noch einiges in diesem Bereich bewegen werde.

II. Was hat’s gebracht? – ein Assessment der Teilrevision

Im Anschluss an die neuste Rechtsprechung sprachen Christoph Schütz, Fotograf, Dr. Philip Kübler, ProLitteris und Simon Ruesch, SIWCO, über die letzte Teilrevision. Schütz stieg mit der Bemerkung ein, dass die Feedbacks des Fotografenverbands zeigten, dass dieser aus zwei Gründen in der Praxis nicht viel geändert hätte. Erstens hätten die ehrlichen Bildnutzer die Honorare bereits zuvor und unabhängig von der Individualität der Fotografien bezahlt, in diesem Bereich sei der Lichtbildschutz lediglich ein Nachvollzug einer etablierten Praxis. Der zweite Grund bestehe darin, dass viele Fotografen nach wie vor davor zurückscheuten, Klage einzureichen, da die strittige Summe im Verhältnis zu den Anwalts- und Gerichtskosten meist unverhältnismässig gering sei. Weiter ging Schütz auf die Folgen nach der Einführung ein. So sei insbesondere positiv, dass die aus Deutschland bekannte Abmahnwelle nicht eingetreten sei. Negativ sah er hingegen zwei Punkte des neuen Schutzes. Erstens hätte der Lichtbildschutz in den Leistungsschutzrechten verankert werden sollen und zweitens stehe es im klaren Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, den Urhebern im Bereich des Lichtbildschutzes ihre Persönlichkeitsrechte abzusprechen. Ebenfalls kritisierte Schütz anhand des «Drohnenbild»-Urteils,​11 dass das Prinzip der Lizenzanalogie nicht ausreiche, um Urheberrechtsverstösse tatsächlich zu vermeiden. In diesem Urteil wurde die vierfache unrechtmässige Nutzung einer Fotografie nach einem Aufwand von rund CHF 10’000 an Gerichts- und Parteikosten mit einem Honorar von CHF 55 entlöhnt. Um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern, sei es laut Schütz erforderlich, eine stärkere Abschreckung als lediglich die Zahlung eines Honorars zu ermöglichen, das ein Beklagter auch im Falle einer rechtmässigen Nutzung des Bildes hätte entrichten müssen. Vielmehr müsse ein Verletzerzuschlag eingeführt werden, wie dies de facto bereits von ProLitteris und Suisa praktiziert werde, indem sie bei unrechtmässigen Nutzungen ihre Tarife verdoppelten.

Als nächster gab Kübler eine Tour d’Horizon über die Revision im Bereich der Kollektivverwertung. Mit der Revision sei dabei neu zu beachten, dass für Fotografien unterschiedliche Schutzfristen gälten. Die Schutzfrist für nicht individuelle Fotografien sei aber praktikabler, weil man nicht herausfinden müsse, ob die Urheberschaft noch lebe. Die Vergütung für Video-on-Demand sei komplexer geworden, da sie nun als gemeinsamer Tarif (GT) geregelt werde und auf individuellen Meldungen über die genutzten Rechte im Angebot basiere. Bisher sei dies aber für ProLitteris wirtschaftlich unbedeutend. Weiter führte der Referent aus, dass die multimedialen Bestandsverzeichnisse, mit denen Museen ihre Bestände online durch Bilder und Texthinweise präsentieren könnten, ohne dass dies eine lizenzpflichtige Nutzung darstelle, aus Sicht der Museen sinnvoll sei und gut funktioniere. Hier werde sich in der Praxis wohl noch zeigen, wie und ob sich diese Schrankenbestimmung auf das Training von generativer KI auswirken werde. Die mit einem GT umgesetzte Verwertung von verwaisten Werken hätte ebenfalls nur geringe wirtschaftliche Bedeutung, da eine Lizenz für ein Werk mit unbekannter Urheberschaft zwischen CHF 5 und maximal CHF 100 koste.

Kübler erklärte dann, dass Rechteinhaber bei der erweiterten Kollektivlizenz (EKL) nicht mehr explizit ihre Rechte anmelden müssten, es reiche aus, wenn sie bemerkten, dass ihre Werke genutzt würden. Mache ein Rechteinhaber folglich ein Opt-out geltend, werde für die vergangene Nutzung eine Vergütung ausbezahlt werden und den Nutzerinnen und Nutzern die zukünftige Nutzung der entsprechenden Werke untersagt. Kübler erwähnt dazu zwei Praxisbeispiele: ProLitteris habe eine Biosphären-Datenbank mit 23’000 kleinen Bildern und eine Sammlung von über 70’000 Kinderzeichnungen der Stiftung Pestalozzianum mit einer EKL lizenziert. In der Biosphären-Datenbank seien primär Lichtbilder vorhanden, weshalb diese pauschal lizenziert werden konnten. Bei der immensen Anzahl von Kinderzeichnungen sei es nicht zumutbar gewesen die Urheberschaft zu recherchieren, weshalb hier nicht der gemeinsame Tarif über verwaiste Werke anwendbar gewesen sei, sondern die EKL. Dank dieser sei eine rechtssichere und legale Nutzung dieser Bilder möglich gewesen. Trotz dieser Vorteile wies Kübler auch auf einige Probleme hin. Da die Nutzungen nur in der Schweiz abgedeckt seien, das Internet jedoch bekanntlich global zugänglich sei, bestehe für Nutzerinnen im Ausland trotz der EKL keine Rechtssicherheit. Der Referent hoffe jedoch, dass es einer ausländischen Nutzerin im Falle eines Rechtsstreits zugutekommen würde, dass sie sich überhaupt um die Rechte bemüht habe. Als letzten Punkt sprach er eine Unsicherheit der Verwertungsgesellschaften an. Sie wüssten nicht, wie repräsentativ sie zu sein hätten, um überhaupt eine EKL erteilen zu dürfen. Momentan werde einer offenen Auffassung gefolgt, d.h. dass die Verwertungsgesellschaften dies dürften, solange sie das Repertoire dieser Rechteinhaberinnen verträten.

Als letzter berichtete Ruesch über die Wirkung der Teilrevision des Urheberrechts mit Fokus auf die Hosting-Providerhaftung (Art. 39d URG). Der SWICO Code of Conduct im Bereich Hosting sei 2013 eingeführt und seither laufend weiterentwickelt worden. Er leiste einen Beitrag an die rasche Beseitigung von rechtsverletzenden Materialien auf Internetseiten und entlaste Anbieter und Kunden in ihrer Kommunikation oder Streitbeilegung, wobei er sich primär auf Notice-to-Notice und Notice-to-Takedown konzentriere. Um die Wirksamkeit zu überprüfen, seien regelmässige Umfragen durchgeführt worden. Klar sei über die letzten zehn Jahre geworden, dass die Anzahl der Notices stark gesunken sei und dass sich die Notices auf einige wenige Provider konzertierten. Laut Ruesch sei Letzteres auf die Konzentration der Kunden auf entsprechende Provider zurückzuführen. Verändert habe sich in den letzten elf Jahren insbesondere der Inhalt und die Ursprungsländer der Notices. Während diese anfänglich hauptsächlich Urheberrechtsverletzungen aus den USA betroffen habe, sei dies nun diverser. Während zu Beginn ausserdem zurückhaltend auf die Notices reagiert wurde, habe sich dies sehr positiv dahingehend entwickelt, dass Massnahmen als Antwort auf die Notices ergriffen würden. Sodann stehe die Selbstregulierung primär im Vordergrund, wenn Urheberrechtsverletzungen nicht vorsätzlich begangen würden, wohingegen die Stay-Down-Pflicht das Pirateriegeschäft adressiere. Dieses habe aus der Sicht von Ruesch nicht zuletzt durch die abschreckende Wirkung, aber auch durch Entwicklungen neuer, legaler Angebote für Kunden abgenommen.

III. Panel- und Plenumsdiskussion

Thouvenin eröffnete die Panel- und Plenumsdiskussion mit der Frage, ob sich die Revision für die Fotografen gelohnt habe. Schütz bejahte dies, da eine Verletzung im «Drohnenbild»-Urteil festgestellt worden sei, obwohl die Ehrlichen bereits für die Fotografien bezahlt hätten und viele nicht vor Gericht ziehen würden. Dies sei insbesondere im Hinblick auf aussergerichtliche Einigungen vorteilhaft, weil sich die Fotografen auf eine klare Rechts- und Gesetzeslage stützen könnten. Thouvenin wollte daraufhin wissen, ob es nicht gefährlich sein könne, nicht individuellen Fotografien diesen Schutz zu gewähren, weil auch im Bereich der angewandten Kunst oder der Architektur die Forderung nach dem Schutz von nicht individuellen Werken erhoben werden könnte. Gemäss Kübler sei dies aber kein Problem, da man sich in der digitalen Welt befinde. Der Lichtbildschutz schütze eine Datei und ihre Beziehung zu ihrem Hersteller und sei deshalb harmlos.

Thouvenin lenkte die Diskussion auf die EKL und wollte von Kübler wissen, ob es betreffend Voraussetzungen und Möglichkeiten ein gemeinsames Verständnis unter den Verwertungsgesellschaften gebe. Dieser antwortete, dass sich die Verwertungsgesellschaften zwar nicht abstimmen müssten, dies aber sinnvollerweise täten. Die EKL müsse «harmless» sein, einerseits im juristischen Sinn, aber auch aus der Sicht der Rechteinhaberinnen und der Politik. Dies sei jeweils stark von der Werkgattung abhängig. Gerade bei grossen Filmen, Serien oder in der Musik sei ein Eingriff schnell nicht mehr «harmless», bei Bildern oder Texten gehe das eher.

Schütz wollte daraufhin von Kübler wissen, ob es bei Fotografien bei der EKL nicht sinnvoll wäre, eine Pixelgrenze festzulegen, damit eine Nutzung, die die Rechteinhaber selbst wahrnehmen möchten, ausgeschlossen werden könne. Kübler stimmte dem im Grundsatz zu, fügte jedoch an, dass in einem solchen Fall die Lösung des Opt-outs zum Zuge komme. Bei Bestandsverzeichnissen sei ein kleines Format gesetzlich vorgeschrieben, dies sei bei der EKL aber nicht möglich, da sie einen Werkgenuss in einem ansprechenden Format erlauben solle. Alternativ müsse die Auflösung etwas höher sein als bei den Bestandsverzeichnissen, jedoch nicht so hoch, dass sie in die normale Verwertung eingreife. Schütz fand dies zu ungenau und forderte fixe Pixelzahlen. Thouvenin erläuterte, dass dies ein Versuch eines Interessenausgleichs zwischen den Rechteinhabern und den an einer Verwertung Interessierten sei, wenn die Transaktionskosten für eine individuelle Rechtsabklärung zu gross seien. «Harmless» sei hier das Stichwort, welches mit Bezug auf das Verwenden von grossen Datenmengen für das Training von KI-Modellen aber strittig sei. Laut Kübler sei dies bei einer internen Nutzung nach Art. 19 Abs. 1 lit. c URG im Bereich der Bilder ein harmloser Zusatzschritt. Er betonte auf Nachfrage auch, dass die Erteilung der entsprechenden Lizenzen innert nützlicher Frist möglich sei und dies gerade bei compliance-orientierten Unternehmen und Hochschulen auch bereits so gemacht werde.

IV. Artificial Intelligence (AI) und Retrieval-Augmented Generation (RAG)

Nach der Pause gab Markus Danhel, MBA, IBM Technology, eine technische Einführung zu Artificial Intelligence (AI) und Retrieval-Augmented Generation (RAG). Zu Beginn ging er auf die explosive Wirkung im Bereich der künstlichen Intelligenz mit der Publizierung von Open AI und dem damit einhergehenden vereinfachten Zugang zu diesen Technologien ein. Er machte dem Publikum bewusst, dass es mittlerweile über 1 Mio verschiedene Large Language Models (LLM) gebe und dass dadurch 99% des öffentlich verfügbaren Wissens bereits in einem LLM trainiert sei. Dahingegen sei nur 1% von unternehmens- bzw. domainspezifischen Informationen in LLM verfügbar. Diesbezüglich kämen die Möglichkeiten von RAG ins Spiel, RAG biete nämlich die Möglichkeit, ein general-purposed LLM mit domainspezifischen Informationen in Kontext zu bringen, ohne dass ein Trainingsaufwand und damit verbundenen Kosten anfielen.

Danhel zeigte zunächst zwei Probleme auf, die häufig bei LLM aufträten. Als erstes Problem erwähnte er, dass LLM zwar Antworten auf gestellte Fragen lieferten, wie ein LLM jedoch auf sie gekommen sei und insbesondere, ob sie auch inhaltlich richtig seien, sei nicht immer klar. In diesem Zusammenhang werde auch vom Problem des Halluzinierens eines LLM gesprochen. Zum anderen sei man bei pre-trained LLM mit dem Problem konfrontiert, dass sie auf nicht mehr aktuellen Informationen beruhten. Beide Probleme könnten nach Danhel mit RAG adressiert werden. RAG arbeite mit externen Daten, also Daten, mit denen das LLM nicht ursprünglich trainiert wurde. Es könne somit auf aktuelle Daten sowie auf domainspezifische Quellen zugegriffen werden, mit dem grossen Vorteil, dass dabei das Modell nicht neu trainiert werden müsse. Dieser RAG-Vorgang setze sich dabei aus drei grundlegenden Schritten zusammen: Auf eine von der Nutzerin gestellte Frage hin werde in einem ersten Schritt nach relevanten Inhalten gesucht, dafür sei vorgängig eine Wissensdatenbank (sog. knowledge base) angelegt worden. Bei den in der Wissensdatenbank gesammelten Inhalten könne es sich technisch gesehen um «alles» handeln. Sie könne sowohl unternehmensinterne Informationen als auch externe Informationen, die beispielsweise frei im Internet verfügbar seien, beinhalten. Ferner könne es sich dabei um Word-Dokumente mit Text (structured data) aber auch um PDF-Dateien oder Bilder (unstructured data) handeln. Nach Danhel sei die Verwendung von unternehmensinternen Daten jedoch der typische Anwendungsfall. Im zweiten Schritt, dem Retrieval, würden aus den entsprechenden Informationsquellen die relevanten Informationen herausgesucht und anschliessend werde im dritten Schritt die Kombination der Fragestellung und der gefundenen Informationen als Prompt in ein LLM gegeben, welches daraus eine Antwort generiere.​12 Im Anschluss erläuterte Danhel die einzelnen technischen Schritte detaillierter. In Bezug auf das Sammeln und Aufbereiten der Daten erklärte er, dass diese zunächst in Dokumente umgewandelt und in sog. Chunks zerlegt und darauf in einer Datenbank gespeichert würden. In den allermeisten RAG-Anwendungsfällen würde es sich dabei um eine sog. Vektordatenbank handeln. Dafür würden aus den Chunks sog. Embeddings erzeugt. Diese Embeddings seien eine mathematische Repräsentation der in den Dokumenten enthaltenen Informationen, wodurch die semantische Suche in den Dokumenten ermöglicht werde. Die semantische Suche habe den Vorteil gegenüber der syntaktischen Suche, dass nicht nur nach Begriffen gesucht werden könne, die wörtlich im Dokument vorkämen, sondern dass auch die inhaltliche Bedeutung von Texten berücksichtigt werden könne. Somit könnten beim Retrieval die relevanten Informationen aus der Vektordatenbank gefunden werden. Dabei betonte Danhel, dass in den Vektordatenbanken keine Kopie des Dokuments abgelegt sei, sondern sog. Clusters von Begrifflichkeiten, die wahrscheinlich eng zusammenhängten, diese seien sodann in Vektorzahlen dargestellt. Abschliessend nannte Danhel drei Aufgabenbereiche, in denen RAG eingesetzt werden könne: beim Zusammenfassen von grossen Textdokumenten, als API search agent für Q&A oder für sog. Whisper Bots in der Kundenberatung.

V. Künstliche Intelligenz (KI) und Retrieval-Augmented Generation (RAG) – urheberrechtliche Beurteilung

Im Anschluss tauschte Thouvenin seine Rolle als Co-Tagungsleiter mit der des Referenten und beurteilte die von Danhel erläuterten technischen Vorgänge zu RAG und die wichtigsten Fragen zum Training von generativer KI aus urheberrechtlicher Sicht. Zu Beginn seines Referats betonte er die rechtliche Relevanz dieser Fragen für die Schweiz: Nicht nur trainieren die ETH und die EPFL eine Reihe von sehr grossen Sprachmodellen, sondern es stehe dafür im Tessin am CSCS auch einer der grössten Supercomputer der Welt zur Verfügung. Die Untersuchung, ob ein solches Training rechtmässig sei, sei somit fundamental und das Schaffen von Rechtssicherheit wichtig für die Förderung von Innovation und für den Standort Schweiz.

Der primäre Bezugspunkt, mit dem die Frage des Trainings von KI-Modellen in der Schweiz adressiert werden könne, sei die Wissenschaftsschranke nach Art. 24d URG. Der Referent nahm gleich zu Beginn dem Argument, dass Text- und Data-Mining nicht von dieser Schranke erfasst sei, den Wind aus den Segeln. Ein Blick in die Botschaft verdeutliche, dass Text- und Data-Mining nach Auffassung des Bundesrates ein zentrales Anwendungsbeispiel der Wissenschaftsschranke sei. Zudem würde die Text- und Data-Mining-Schranke in der DSM-Richtlinie der EU nach allgemeiner Ansicht auch das Training von LLM umfassen. Das Zusammenführen dieser beiden Perspektiven lege nahe, dass die Wissenschaftsschranke den zentralen Anknüpfungspunkt bilde.

Zur Beurteilung des Trainings von KI unter der Wissenschaftsschranke de lege lata hielt Thouvenin zunächst fest, dass es beim Erstellen von Vektordatenbanken einen Input von grossen Datenmengen gebe, unter denen sich auch viele urheberrechtlich geschützte Inhalte befänden. Dabei stelle sich die Frage, ob urheberrechtlich relevante Vervielfältigungen vorliegen. Dabei sei zu differenzieren: Da die Werke regelmässig längerfristig in einer Datenbank gespeichert würden, komme es im Zusammenhang mit dem Training zwar durchaus zu Vervielfältigungen, aber nicht im trainierten Modell selbst. Bei Sprachmodellen bildeten nämlich die Vektordatenbanken letztlich die Funktionsweise von Sprache ab. Dabei würden die Texte in einzelne Worte oder Wortbestandteile («tokens») aufgeteilt und es werde statistisch errechnet, wie sich diese zueinander verhielten. Werke seien deshalb grundsätzlich nicht als solche im Modell gespeichert, womit keine Vervielfältigung im Sinn des Urheberrechts vorliege.

Gehe man aber vom Vorliegen von Vervielfältigungen aus und prüfe man, ob diese durch die Wissenschaftsschranke freigestellt seien, so stelle sich die Frage, ob die Entwicklung eines LLM als wissenschaftliche Forschung im Sinne der Bestimmung zu qualifizieren sei. Die Botschaft sage eindeutig, dass nicht nur nicht-kommerzielle, sondern auch kommerzielle Forschung erfasst sei. Diene das LLM wissenschaftlichen Zwecken, sei diese Voraussetzung klar erfüllt. Werde ein Modell anschliessend kommerzialisiert, falle die Antwort zwar weniger eindeutig aus, ein breites Verständnis des Begriffs «wissenschaftliche Forschung» sei aber durchaus vertretbar. Dafür verwies Thouvenin auf das Forschungsprivileg im Patentrecht, das jegliche Forschung und Entwicklung in Unternehmen freistelle, namentlich auch in der Pharmaindustrie bei der Entwicklung von Pharmazeutika, die stark kommerziell ausgerichtet sei. Die weiteren Voraussetzungen der Wissenschaftsschranke, wonach Vervielfältigungen durch die Anwendung eines technischen Verfahrens bedingt sein und ein rechtmässiger Zugang zu den Werken bestehen müsse, sind nach Thouvenin in aller Regel erfüllt oder lassen sich zumindest erfüllen. Als problematisch erachtete er, dass die Schranke für Computerprogramme nicht gelte. Da KI-Modelle auch Code generieren können, wenn sie mit Code trainiert worden seien, werde hier ein sinnvoller Anwendungsfall von Anfang an und ohne Begründung ausgeschlossen. Schliesslich wies er darauf hin, dass die Wissenschaftsschranke keine Vergütung vorsehe und warf die Frage auf, ob damit ein angemessener Interessensausgleich erzielt werde, insbesondere, wenn die Werke für das Training von kommerziellen Anwendungen genutzt würden.

In der Folge präsentierte Thouvenin mögliche Lösungsvorschläge innerhalb des geltenden Rechts. Zur Wissenschaftsschranke hielt er fest, dass die Werke vergütungsfrei genutzt werden könnten, wenn die Voraussetzungen der Schranke erfüllt seien. Schliesse man die Anwendung der Schranke aus und qualifiziere man die Verwendung von Werken für das Training von KI-Modellen als Verletzung von Urheberrechten, so würden für die Entwickler dieser Modelle äusserst hohe Transaktionskosten anfallen, weil sie versuchen müssten, Lizenzen für diese Nutzungen einzuholen. Allerdings habe sich in der Praxis gezeigt, dass viele Entwickler keine Lizenzen einholen und sich nicht von der Nutzung abhalten liessen, sondern Klagen und Entscheide der Gerichte abwarteten. Zur Frage des angemessenen Interessenausgleichs beim Training von kommerziellen Anwendungen verwarf Thouvenin die These, dass sich ein Nutzungsvorbehalt in den Begriff des «rechtmässigen Zugangs» hineininterpretieren lasse, der als Voraussetzung für das Greifen der Wissenschaftsschranke vorgesehen sei. Mit einem solchen Ansatz könnte zwar argumentiert werden, dass der Zugang nicht mehr rechtmässig wäre, wenn die Rechteinhaberin einen Nutzungsvorbehalt angebracht hätte, womit sich dem geltenden Recht eine Opt-out-Möglichkeit nach europäischem Vorbild entnehmen liesse. Eine solche Argumentation würde für Thouvenin aber zu weit gehen, zumal die Regelung in der DSM-Richtlinie die beiden Kriterien – «rechtmässig zugänglich» und «nicht ausdrücklich mit einem Nutzungsvorbehalt versehen» – einzeln nenne. Als weitere Lösung im geltenden Recht erwähnte er die Möglichkeit, über eine EKL vorzugehen. Allerdings sah er deren Anwendungsbereich eher auf das Fine-Tuning der Modelle innerhalb von Unternehmen oder auf RAG-Anwendungen beschränkt. Dies führte ihn zum Schluss, dass im Rahmen des geltenden Rechts keine sichere und belastbare Antwort gefunden werden könne.

Rechtssicherheit könnte (und sollte) nach Thouvenin nur durch eine Anpassung des Urheberrechtsgesetzes geschaffen werden. Dabei beständen zwei Möglichkeiten: Erstens könnte Art. 24d URG revidiert werden. Dabei könnte der Begriff «wissenschaftlich» gestrichen und klargestellt werden, dass jegliche Entwicklungen von KI-Systemen als Forschung erfasst würden. Zudem könnte die Schranke als gesetzliche Lizenz mit einer Vergütung ausgestaltet werden, um den Interessenausgleich zu verbessern. Dabei müsste jedoch geklärt werden, wie sich eine gesetzliche Lizenz angesichts der sehr grossen Zahl potenziell Begünstigter und der Vielzahl an Inhabern von Modellen hinreichend effizient umsetzen liesse. Alternativ könnte ein Nutzungsvorbehalt eingeführt werden, der aber nur für die kommerzielle Forschung und nicht für die wissenschaftliche Forschung gelten sollte. Diese Lösung würde dem Ansatz von Art. 3 DSM-Richtlinie entsprechen. Als weitere Möglichkeit könnte eine spezifische Regelung von Text- und Data-Mining oder – noch spezifischer – eine besondere Schranke für das Training von KI-Systemen geschaffen werden. Dies hätte in erster Linie den Vorteil, dass bestehende Regelungen nicht angetastet werden müssten. Für die Ausgestaltung einer solchen Schranke gebe es wiederum ein Spektrum an Möglichkeiten: eine volle Freistellung oder eine gesetzliche Lizenz sowie eine Regelung mit oder ohne Nutzungsvorbehalt.

Weiter sei ein Blick auf die Bestimmungen in der EU unumgänglich, insbesondere auf Art. 53 AI-Act, der sich auch auf urheberrechtliche Fragestellungen beziehe. Namentlich werde in Art. 53 Nr. 1 lit. c festgehalten, dass Anbieter von KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck eine Strategie zur Einhaltung des Urheberrechts auf den Weg bringen müssten («to put into place»), wobei auf den Rechtsvorbehalt in Art. 4 Abs. 3 DSM-Richtlinie verwiesen werde. Die EU versuche damit zu verhindern, dass Anbieter ihre KI-Systeme ausserhalb der EU trainieren, weil sie dort nicht an die Vorgaben des europäischen Urheberrechts gebunden seien – insbesondere nicht an den Nutzungsvorbehalt. Anschliessend könnten sie das trainierte Modell in der EU anbieten und damit die Regelungsidee des europäischen Urheberrechts umgehen. Mit Blick auf den Interessenausgleich und die Bedeutung des europäischen Marktes für die Schweiz sei es gemäss Thouvenin sinnvoll, die Vorgaben des EU-Rechts einzuhalten. Aus seiner Sicht sollte deshalb eine spezifische Regelung für das Training von KI-Systemen geschaffen werden, die eine volle Freistellung ohne Vergütung für die Nutzung bei wissenschaftlicher Forschung und einen Nutzungsvorbehalt für nicht-wissenschaftliche Forschung vorsehe. Umsetzen liesse sich dies durch eine Revision von Art. 24d URG oder durch eine spezifische Schranke für das Training von KI. Wichtig erscheine ihm auch, dass Computerprogramme nicht von einer solchen Schranke ausgenommen werden.

Im letzten Teil unternahm Thouvenin einen ersten Versuch, RAG aus urheberrechtlicher Sicht zu beurteilen. Dabei teilte er den RAG-Vorgang in Anlehnung an die Ausführungen von Danhel in fünf Schritte ein: das Speichern von Werken in einer Datenbank, den Zugriff auf diese Werke, die Identifikation der relevanten Inhalte, deren Integration in einen Prompt und den Output. Anschliessend prüfte er, wie die einzelnen Schritte urheberrechtlich zu qualifizieren sind. Dabei schickte er voraus, dass seine Beurteilung keineswegs abschliessend sei, sondern im Sinne von «food for thought» lediglich dazu dienen solle, eine Diskussion anzustossen.

In einem ersten Schritt würden Werke in einer Datenbank gespeichert. Dabei könne es sich um eine interne oder eine externe Datenbank handeln. RAG sei zwar an sich auf die Nutzung interner Datenbanken ausgerichtet, der Ansatz könne aber auch genutzt werden, um auf externe Datenbanken zuzugreifen, beispielsweise auf die Inhalte der Websites von Medien. Mit dem Ansatz von RAG sei es namentlich möglich, über das Internet auf fremde Inhalte zuzugreifen und diese für die Beantwortung von Fragen zu verwenden, beispielweise bei ChatGPT 4-Pro. Beim Speichern von Werken in einer internen Datenbank würden zwar Vervielfältigungen erstellt, diese seien jedoch durch den internen Gebrauch nach Art. 19 Abs. 1 lit. c gedeckt. Wegen der Gegenausnahme von Art. 19 Abs. 3 lit. a URG seien vollständige und weitgehend vollständige Vervielfältigungen aber ausgeschlossen. Hier ergeben sich deshalb relevante Einschränkungen der Nutzung. Nach dem Speichern werde auf die Werke zugegriffen und die Inhalte, die für die Beantwortung der Nutzeranfrage relevant seien, würden identifiziert und in den Prompt integriert. Bei diesen drei Schritten komme es ebenfalls zu Vervielfältigungen, die als interner Gebrauch qualifiziert werden können. Zudem seien diese Vervielfältigungen nur vorübergehend und deshalb von der entsprechenden Schranke (Art. 24a URG) freigestellt.

Anders seien die ersten vier Schritte zu beurteilen, wenn auf eine externe Datenbank zugegriffen werde, insbesondere über das Internet. In diesem Fall stelle sich die Frage des Speicherns für den Nutzer von RAG nicht, weil die Werke bereits in dieser Datenbank gespeichert seien. Bei den nächsten drei Schritten, dem Zugriff auf die in der externen Datenbank gespeicherten Werke, der Identifikation der relevanten Inhalte und deren Integration in einen Prompt, liegen wiederum vorübergehende Vervielfältigungen vor, die nach Art. 24a URG freigestellt seien. Bei privaten Nutzern greife zudem die Schranke des Privatgebrauchs (Art. 19 Abs. 1 lit. a URG), bei Unternehmen regelmässig die Schranke des internen Gebrauchs (Art. 19 Abs. 1 lit. c URG).

Beim Output stellten sich bei der Nutzung von internen und externen Datenbanken die gleichen Fragen. Wenn mithilfe von RAG Inhalte generiert werden, die mit geschützten Werken weitgehend übereinstimmen, wird eine Urheberrechtsverletzung vorliegen. Dabei stelle sich die umstrittene Frage, wie weit der Schutzbereich zu ziehen sei. Da RAG die Möglichkeit biete, die Quelle anzugeben, könnten bei der Nutzung dieses Ansatzes die Vorgaben des Zitatrechts (Art. 25 URG) erfüllt werden, womit auch ein an sich verletzender Output in zulässiger Weise genutzt werden könnte.

Der Referent schloss seinen Vortrag mit einem Hinweis auf das Phänomen der urheberrechtlichen Doppelschöpfung. Nach überwiegender, aber nicht unbestrittener Auffassung liege eine Urheberrechtsverletzung nur vor, wenn ein bestehendes Werk tatsächlich verwendet werde; unabhängig erstellte (Doppel-)Schöpfungen verletzen die Rechte an einem vorbestehenden Werk dagegen nicht. Dies verdeutlichte er anhand des BGH-Urteils «Klammerpose», wonach keine Urheberrechtsverletzung vorliegt, wenn jemand unabhängig von einer bestehenden Fotografie eine ähnliche Aufnahme erschafft, ohne die ursprüngliche je gesehen zu haben. Vor dem Hintergrund dieses urheberrechtlichen Dogmas gibt es nach Thouvenin möglicherweise gute Gründe für die Inhaber von Urheberrechten, sich nicht gegen die Nutzung ihrer Werke für das Training von KI-Systemen zu wehren. Denn wenn ein solches System einen Output generiere, der in den Schutzbereich eines vorbestehenden Werkes falle, das angeblich verletzte Werk aber nie als Input verwendet worden sei, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass eine Doppelschöpfung und damit keine Verletzung vorliege. So betrachtet, habe es für Urheberinnen und Urheber nicht nur Nachteile, wenn ihre Werke beim Training oder als Input von KI-Modellen verwendet würden.

VI. Panel- und Plenumsdiskussion

Die Panel- und Plenumsdiskussion mit Danhel, Thouvenin und Dr. Kai-Peter Uhlig, Rechtsanwalt, wurde von Rigamonti moderiert. Die erste Wortmeldung kam von Uhlig, er betonte, dass beim Training von KI oft über die Verwendung für interne Zwecke oder zur wissenschaftlichen Forschung gesprochen worden sei, jedoch dürften die Anwendungen, bei denen auf öffentlich zugängliche Quellen, insbesondere auf Medieninhalte, zugegriffen werde, nicht vergessen gehen. Nach Uhlig sei das Training von KI-Systemen mit Medieninhalten und das Retrieval solcher Inhalte für die Medienbranche existenzgefährdend, weil dadurch eindeutige Substitutionsangebote geschaffen würden. Vor dem Hintergrund dieses offensichtlichen Schutzbedarfs falle die rechtliche Bewertung dieser Anwendungsfälle deutlich anders aus. Auf die Rückfrage von Rigamonti, ob eine Vergütung für das kommerzielle Training eine Option wäre, erwiderte Uhlig, dass es davon abhängig sei, wie sich die Substitutionseffekte genau auswirkten. Werde der Schöpfer durch KI von seinen eigenen Verwertungschancen abgekoppelt, dann nütze eine Vergütung nichts, da erstens der Schöpfer einen Kontrollverlust erleide, der nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch sei. Dies komme daher, dass die Kontrolle über die Verbreitung von Informationen verloren gehe. Ein zweites Problem liege darin, dass sich eine Verwertung an den Geschäftsmodellen der Anbieter und an den damit einhergehenden günstigen Angeboten und Preisen orientiere und somit auch die Beteiligung der Urheber daran entsprechend klein ausfalle. Rigamonti wollte sodann wissen, ob ein Ansatz, der auf der Output-Seite ansetze, besser Abhilfe schaffen könnte. Nach Uhlig sei ein solcher Ansatz allein jedoch nicht praktikabel. Denn der Output werde jeweils auf eine Nutzeranfrage hin generiert und müsste in jedem einzelnen Fall auf eine Rechtsverletzung hin geprüft und diese nachgewiesen werden. Der Aufwand sei mit einer wirksamen Rechtsdurchsetzung nicht vereinbar. Deshalb müsse diese auch schon beim Zugriff ansetzen. Dazu ergänzte Thouvenin, dass ein Nutzungsvorbehalt nicht nur für das Training, sondern auch bei der Anwendung von RAG-Vorgängen denkbar wäre. Rigamonti wollte daraufhin von Thouvenin wissen, ob seine vorgeschlagene modifizierte Wissenschaftsschranke auch das RAG-Modell abdecken solle; dies verneinte Thouvenin jedoch klar. Uhlig fügte hinzu, dass der Blick nicht auf das Vervielfältigungsrecht beschränkt bleiben könne, sondern auch nach möglichem Zugänglichmachen in den Vorgängen zu fragen sei, und dieses wäre nicht mit einer solchen Schrankenbestimmung zu unterlaufen, sei es mit oder ohne Nutzungsvorbehalt. Thouvenin warnte jedoch davor, ein System einzuführen, das die Probleme über den Output zu lösen versuche, weil dann nur diejenigen Konstellationen berücksichtigt werden könnten, bei denen der Output tatsächlich in den Schutzbereich eines Werks eingreife. Bei einem solchen Ansatz wäre eine Einzelfallbeurteilung notwendig, wenn man sich nicht damit begnügen wolle, auf die blosse Gefahr von Urheberrechtsverletzungen abzustellen. Schliesslich wollte Rigamonti von Danhel wissen, wie die Unternehmen mit diesen Rechtsfragen umgingen. Danhel betonte, dass Unternehmen diese Fragen durchaus ernst nähmen, da sie auch von gesellschaftlicher Bedeutung seien. Insbesondere die Transparenz darüber, mit welchen Daten ein Modell trainiert wurde, sei höchst relevant. Gleichzeitig hänge die Qualität der Modelle entscheidend von den verwendeten Daten ab, weshalb der Zugang zu diesen Inhalten für die Unternehmen unerlässlich sei.

VII. Ausblick auf die nächste Revision

Als letzter Referent sprach Emanuel Meyer vom Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) über die laufende Revision. Allerdings sei dies für einen Mitarbeiter der Bundesverwaltung eine nahezu unlösbare Aufgabe, da er keine Auskunft geben dürfe, solange der Bundesrat noch keine Entscheidung getroffen habe, was bisher nicht geschehen sei. Daher müsse er zunächst einen Rückblick geben. Ende Juni habe der Bundesrat den Vernehmlassungsbericht zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für die Medien zur Kenntnis genommen und über das weitere Vorgehen entschieden. Die Vernehmlassung habe im Wesentlichen drei Ergebnisse gebracht: Erstens sei die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Medienunternehmen umstritten. Zweitens sei, falls eine Einführung erfolge, diese in etwa so umzusetzen, wie es im Vorentwurf vorgesehen gewesen sei. Drittens sei eine Regulierung von KI derzeit verfrüht. Daher habe der Bundesrat entschlossen, eine Botschaft ausarbeiten zu lassen, damit das Parlament eine politische Entscheidung treffen könne. Diese solle im ersten Halbjahr 2025 vorliegen. Der Bundesrat habe zudem auf Basis der Vernehmlassungsvorlage entschieden, dass es keine Vergütungspflicht für die Nutzung von Medieninhalten durch Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien geben werde. Bei der Ausarbeitung des Regulierungsvorschlags des Leistungsschutzrechts seien zwei Aspekte im Zentrum gestanden: Erstens müsse die Regelung praxisgerecht sein, und zweitens müsse sie den Auftrag des Bundesrats umsetzen. Der Auftrag laute, dass kleinere Medienverlage und Medienschaffende profitieren müssten. Die vorgeschlagene Lösung sei daher nicht als traditionelles Leistungsschutzrecht ausgestaltet, sondern solle auch wettbewerbsrechtliche Züge enthalten. Meyer führte aus, einige Vernehmlassungsteilnehmer hätten gefordert, dass die Regelung an Journalisten und Journalistinnen anknüpfen und die Medienunternehmen lediglich beteiligen solle – also genau das Gegenteil des vorgeschlagenen Modells. Dies sei aus einer urheberrechtssystematischen Perspektive nachvollziehbar, doch übersehe dieser Ansatz das eigentliche Problem. Nicht die Journalisten, sondern die Medienunternehmen seien von den Problemen betroffen. Die Regulierungsfolgenabschätzung habe gezeigt, dass Medienunternehmen im Wettbewerb mit Plattformen um Reichweite und Monetarisierung der Reichweite unterlegen seien, was diese zu einem Marktaustritt zwinge – mit gesamtgesellschaftlich nachteiligen Folgen. Journalisten seien in diesem Wettbewerb nicht aktiv, sondern könnten höchstens indirekt betroffen sein, falls ihr Auftraggeber den Markt verlasse. Daher sei es nicht zielführend, die Regelung an den Urhebern auszurichten. Möglicherweise habe es Bedenken gegeben, dass sich eine solche Regelung an der Zehn-Drei-Regelung von Art. 60 Abs. 2 URG orientieren werde, bei der die Entschädigung für Urheber höchstens zehn und bei den verwandten Schutzrechten höchstens drei Prozent des Nutzungsertrags betrage. Meyer erklärte jedoch, dass dies nicht zwangsläufig der Fall sei. Zudem seien alternative Bemessungskriterien vorgesehen, etwa der wirtschaftliche Aufwand der Medienunternehmen. Dadurch könne die Unsicherheit über die wirtschaftliche Bewertung der journalistischen Inhalte reduziert werden. Ein weiteres Beispiel für Kritik aus der Vernehmlassung sei die Befürchtung gewesen, dass das Modell Sensationsjournalismus und Clickbaiting fördere. Diese Gefahr bestehe bei einer nutzungsbezogenen Verteilung. Allerdings verfolge man mit der vorgeschlagenen Regelung einen neuen Ansatz, bei dem die Vergütung nicht rein nutzungsbezogen erfolge, sondern sich an den Kosten der Medienunternehmen sowie ihrem Beitrag zur Informationsversorgung orientiere. Dadurch werde ein Anreiz für ausgewogene Berichterstattung geschaffen, anstatt Sensationsjournalismus zu fördern. Abschliessend betonte Meyer, dass die Botschaft als Chance betrachtet werde, den Betroffenen die Regelung näherzubringen. Man sei sich bewusst, dass die vorgeschlagene Lösung an die Grenzen des Machbaren gehe. Dennoch sei das Ziel, eine praxisgerechte und umsetzbare Regelung zu schaffen, die den Auftrag des Bundesrats erfülle. Auch wenn dies bedeute, dass die bestehende urheberrechtliche Systematik zugunsten einer pragmatischen Lösung teilweise aufgegeben werden müsse.

Fussnoten:

1

BGE 148 III 305 ff., «Feuerring I»; BGer vom 11. September 2024, 4A_145/2024, «Feuerring II» (zur Publikation vorgesehen); BGer vom 21. April 2023, 4A_168/2023, «Drohnenbild»; BGer vom 11. Juli 2023, 4A_372/2022, «Logiciels Spécifiques» und BGer vom 16. Juli 2024, 4A_135/2024, «Softwareklau»; BGer vom 4. August 2023, 2C_260/2023, «Abschlussarbeit», der sich mit einem Plagiat befasst und das Urheberrecht nur am Rande betrifft.

2

BGer vom 2. Mai 2011, 4A_78/2011, «Corbusier».

3

BGE 143 III 373 ff. E. 2.1, «Max-Bill-Barhocker».

4

BGE 148 III 305 ff., «Feuerring I».

5

BGer vom 11. September 2024, 4A_145/2024, «Feuerring II» (zur Publikation vorgesehen).

6

EuGH Vorabentscheidungsersuchen vom 21. September 2023, C-580/23, «MIO».

7

EuGH Vorabentscheidungsersuchen vom 21. Dezember 2023, C-795/23, «USM Haller».

8

EuGH vom 24. Oktober 2024, C-227/23, «Vitra».

9

Stadtgericht Prag vom 11. Oktober 2023, 10 C 13/2023-16, «KI-generierte Grafiken».

10

Landgericht Hamburg vom 27. Oktober 2024, 310 O 227/23, «LAION».

11

BGer vom 21. April 2023, 4A_168/2023, «Drohnenbild».

12

Ein Beispiel dieses Vorgangs kann hier abgerufen werden: ‹community.ibm.com/community/user/ai-datascience/blogs/sarah-packowski/2023/07/06/answering-watsonxai-questions›, besucht am 15. November 2024.

Viviane Ammann / Lena Hänni | 2025 Ausgabe 7-8