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VORGESTELLT

Sabine Taxer – «Das Arbeitsrecht spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen wider wie kaum ein anderes Rechtsgebiet.»

Arbeitsrecht

Sabine Taxer ist Rechtsanwältin und Senior Associate bei der Wirtschaftskanzlei Wenger Vieli AG in Zürich und Zug. Sie hat umfassende Erfahrung in der arbeitsrechtlichen Beratung von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden sowie als Prozessanwältin in Bereichen des Arbeitsrechts. Im Rahmen ihrer juristischen Ausbildung für ihr Anwaltspraktikum arbeitete sie bei SEITZ/RA Anwaltskanzlei und Notariat, bei Niedermann Rechtsanwälte und am Bezirksgericht Zürich. Ihren Bachelor- und Masterabschluss in Rechtswissenschaften absolvierte sie an der Universität Zürich; ausserdem hat sie einen LL.M.-Abschluss der University of Law, London, und verfügt über den Titel Fachanwältin SAV Arbeitsrecht.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Der arbeitsrechtliche Bezug ist in meinem Berufsalltag als Rechtsanwältin in der Kanzlei Wenger Vieli AG allgegenwärtig. Insbesondere liegt gerade eine arbeitsrechtlich sehr intensive Zeit hinter mir: Ich durfte im Juni 2025 mein Diplom als Fachanwältin SAV Arbeitsrecht nach erfolgreich abgeschlossener Fachanwaltsausbildung entgegennehmen. Dieser Titel war seit Beginn meiner Laufbahn als Rechtsanwältin im Jahr 2018 das grosse Ziel am Horizont. Durch meine mehrjährige Berufserfahrung im Bereich Arbeitsrecht konnte ich diesen Meilenstein nun erreichen und freue mich jetzt umso mehr, meine Mandanten mit meiner arbeitsrechtlichen Expertise unterstützen zu können. Berührungspunkte zum Arbeitsrecht erfahre ich daher täglich in meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin, sei es in der Beratung von Unternehmen zu arbeitsvertraglichen Fragen, der Begleitung von Kündigungsprozessen oder der Vertretung von Arbeitnehmenden in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten – hier z.B. häufig bei Fragen zum Arbeitszeugnis oder zu Bonuszahlungen. Aktuell berate ich oft Unternehmensgruppen in arbeitsrechtlichen Fragestellungen mit internationalem Bezug, etwa bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen, der Einführung von Homeoffice-Regelungen oder bei Restrukturierungen. Hinzu kommen arbeitsrechtliche Prozesse vor Gericht, meist im Zusammenhang mit Kündigungen, Vergütungskomponenten oder nachvertraglichen Konkurrenzverboten. Auch die arbeitsrechtliche Compliance – z.B. im Umgang mit internen Untersuchungen oder dem Schutz vor psychosozialen Risiken – ist zunehmend ein Thema in meiner Praxis.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Bereits während meines Studiums hat mich das Arbeitsrecht fasziniert, vor allem die Schnittstelle zwischen rechtlichen Rahmenbedingungen und menschlichen Schicksalen. Mein erstes Praktikum vor der Anwaltsprüfung auf dem Bezirksgericht Zürich – namentlich die Zeit auf dem Arbeitsgericht – hat diesen Eindruck bestätigt und meinen beruflichen Weg stark geprägt. Dies war der Grundstein für meine heutige Tätigkeit. Das Arbeitsrecht in der Schweiz ist überaus vielfältig, da es wie kaum ein anderes Rechtsgebiet unmittelbar gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt. Insbesondere die Dynamik aus der Rechtsprechung zum Arbeitsrecht in Kombination mit der menschlichen Geschichte hinter jedem einzelnen Fall hat mich schon seit jeher fasziniert. Im Rahmen meiner Anwaltsausbildung kam ich daher bereits früh mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen in Kontakt und habe gemerkt, wie spannend das Zusammenspiel von Recht, Wirtschaft und menschlichem Verhalten in diesem Bereich ist.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Meines Erachtens liegt die Herausforderung in der Vielschichtigkeit der Anforderungen in meinem Beruf: aktuelles juristisches Fachwissen stets auf dem neuesten Stand zu halten, die Bedürfnisse meiner Mandanten präzise zu erfassen, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern – und dabei auch unter hohem Druck und engen Fristen die Freude an der Arbeit als Antrieb zu bewahren. Um dem gerecht zu werden, folge ich dem Prinzip «einen klaren Kopf bewahren, sich einen Überblick verschaffen, das Vorgehen strukturiert planen und dann entschlossen handeln». Sehr herausfordernd ist es beispielsweise, komplexe rechtliche Sachverhalte verständlich und praxisnah zu vermitteln, vor allem gegenüber meinen Mandanten. Zudem verlangt das Arbeitsrecht ein hohes Mass an Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, da es oft um persönliche und emotionale Themen geht. Häufig kommt es darauf an, arbeitsrechtliche Risiken frühzeitig zu erkennen und pragmatische Lösungen zu entwickeln, die sowohl juristisch fundiert als auch wirtschaftlich sinnvoll für meine Mandanten  sind.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Die Flexibilität des Schweizer Arbeitsrechts ist nach meiner Ansicht eine grosse Stärke. Es erlaubt sowohl Arbeitgebenden als auch Arbeitnehmenden, ihre Arbeitsverhältnisse vergleichsweise frei zu gestalten. Schwächen zeigen sich aber auch gerade darin, dass z.B. für Arbeitnehmende im Vergleich zu anderen Jurisdiktionen im EU-Raum ein geringerer Kündigungsschutz besteht und gewisse Missstände wie z.B. strukturelle Diskriminierung, Mobbing oder Whistleblowing rechtlich in unseren Gesetzen gar nicht oder nur begrenzt erfasst sind. Hier besteht nach meiner Einschätzung Überarbeitungsbedarf bei den gesetzlichen Grundlagen im Schweizer Arbeitsrecht.  

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Arbeitnehmenden rate ich, sich stets frühzeitig über ihre Rechte zu informieren, insbesondere für eine Prüfung des Arbeitsvertrages vor Vertragsunterzeichnung oder im Kündigungsfall, denn bei Letzterem sind Ansprüche an gesetzliche Fristen gebunden. Je eher ich meine Mandanten auf ihrem arbeitsrechtlichen Weg begleiten kann, desto mehr Möglichkeiten stehen mir für potenzielle Lösungsansätze zur Verfügung. Arbeitgebenden empfehle ich, transparente und strukturierte interne Prozesse zu etablieren und arbeitsrechtliche Fragestellungen nicht zu unterschätzen. Präventive arbeitsrechtliche Beratung erspart oft spätere Konflikte und damit einhergehend auch Zeit und Kosten für die Unternehmen. Arbeitsrechtliche Fragen sollten für Arbeitgebende nicht nur als juristische Pflicht, sondern auch als Führungsaufgabe verstanden werden. Denn ein guter und arbeitsrechtlich korrekter Umgang mit den Mitarbeitenden zahlt sich für Arbeitgebende langfristig aus, auch in rechtlicher Hinsicht.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Die Digitalisierung hat das Arbeitsrecht in der Schweiz stark beeinflusst: Stichworte sind hier z.B. künstliche Intelligenz, Homeoffice, Arbeitszeiterfassung und Datenschutz. Auch die zunehmende Internationalisierung hat neue Herausforderungen geschaffen, etwa bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen. Das Arbeitsrecht hinkt diesen Entwicklungen teilweise noch etwas hinterher. Gleichzeitig stelle ich in der Praxis ein wachsendes Bewusstsein für Themen wie Gleichstellung, Gesundheitsschutz und Diversität fest, was ich als durchaus positiv empfinde.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Die grösste Herausforderung wird meiner Meinung nach sein, das Arbeitsrecht an die sich wandelnden Arbeitsformen anzupassen – Plattformarbeit, künstliche Intelligenz und hybride Arbeitsmodelle werden zukünftig vermehrt anzutreffen sein. Gleichzeitig müssen rechtlich soziale Absicherungen gestärkt und faire Bedingungen für alle Beteiligten im Arbeitsmarkt geschaffen werden. Das Arbeitsrecht in der Schweiz wird sich zukünftig der Aufgabe stellen müssen, die rechtlichen Rahmenbedingungen an die neue dynamische Arbeitsrealität anzupassen, insbesondere mit Blick auf flexible Arbeitsformen, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie die wachsende Bedeutung von psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz. Es braucht hier einerseits klare Regeln, andererseits aber auch Offenheit für neue, zeitgemässe Modelle und Lösungsansätze.

Patrick Näf | legalis brief ArbR 17.07.2025