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VORGESTELLT

Saskia Schwarz – «Es geht oft vergessen, dass Arbeitsrecht in vielen Bereichen stark einzelfallabhängig ist.»

Arbeitsrecht

Saskia Schwarz schloss 2003 ihr Studium an der Universität Fribourg ab und erwarb 2006 die Zulassung zur Rechtsanwältin im Kanton Zürich. Sie absolvierte ausserdem ein Nachdiplomstudium an der Columbia University in New York (LL.M., 2008). Durch ihre langjährige Tätigkeit in verschiedenen Kanzleien wie auch als Unternehmensjuristin verfügt sie über fundierte Erfahrung in der Beratung und Vertretung von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden in allen Aspekten des Arbeitsrechts. Seit 2025 ist sie zudem Fachanwältin SAV Arbeitsrecht.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht

Seit 2018 bin ich bei Humbert Heinzen Hischier Rechtsanwälte tätig, welche vom Wirtschaftsmagazin Bilanz und der Handelszeitung regelmässig als eine der «Top Anwaltskanzleien im Arbeitsrecht» für Arbeitgebende und Arbeitnehmende ausgezeichnet wird, so auch in diesem Jahr. Ich habe mich über die Jahre auf Arbeitsrecht spezialisiert und berate und vertrete nun Klienten ausschliesslich in diesem Bereich (inklusive öffentliches Personalrecht). Berufsbegleitend habe ich dieses Jahr zudem erfolgreich die Ausbildung zur Fachanwältin SAV Arbeitsrecht abgeschlossen. Etwas viel Arbeitsrecht, könnte man meinen, aber dieses Rechtsgebiet hat so viele Facetten, dass es nie langweilig wird!

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen

Indirekt schon früh, da ich während meiner Schul- und Studienzeit nebenbei gearbeitet habe, etwa in Bibliotheken, in einer Bäckerei, als Aushilfslehrerin oder als Unterassistentin an der Uni. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber natürlich noch keine Ahnung von Arbeitsrecht und habe einfach unterzeichnet, was mir vorgelegt wurde.

Meine Mutter hat im HR eines internationalen Unternehmens gearbeitet und dort neue Mitarbeitende bei Anstellung und Umzug in die Schweiz unterstützt. Bei meiner ersten Arbeitsstelle nach dem Anwaltspatent war dann per Zufall die Beratung und Vertretung von Klienten betreffend Einholung von Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen auch eine meiner Hauptaufgaben. Seither ist Arbeitsrecht immer Teil meiner Tätigkeit geblieben.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Teilweise geht es um rein rechtliche Fragen. Wenn Arbeitnehmende aber in einer Konflikt- und/oder Kündigungssituation zu mir kommen, tritt häufig eine emotionale Ebene hinzu. Die Arbeit sichert in der Regel nicht nur die Existenz und den gewohnten Lebensstandard, sondern ist eben auch in hohem Masse sinn- und identitätsstiftend. Zu berücksichtigen ist weiter, dass prozessieren (viel) kostet und (lange) dauert. Die Herausforderung für mich ist, zwischen emotionaler Erwartungshaltung und wirtschaftlichen Gegebenheiten gestützt auf meine Einschätzung der Rechtslage die für meine Klienten im Einzelfall bestmögliche Lösung anzustreben und herauszuholen. Manchmal bedeutet dies, zu prozessieren. In der Regel ist es aber – für beide Parteien – sinnvoller, einer zeitnahen, einvernehmlichen Kompromisslösung zuzustimmen, als auf Maximalforderungen zu beharren bzw. «aus Prinzip» keiner Forderung nachzukommen.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Geprägt hat mich ein Prozess betreffend eine fristlose Kündigung. Das Gericht qualifizierte diese zwar als objektiv, aber nicht als subjektiv gerechtfertigt, weil die Arbeitgeberin die Möglichkeit einer späteren Wiederanstellung offengelassen hatte. Gut gemeint kann manchmal böse enden! Die Arbeitgeberin musste bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist Lohn nachzahlen. Dieser Fall zeigt besonders gut, wie vor Gericht ein einzelner Satz in einem Brief, einer SMS oder einer E-Mail matchentscheidend sein kann.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht / Arbeitsmarkt?

Positiv werte ich die Balance zwischen Kündigungsfreiheit und Kündigungsschutz. Eine genügende Flexibilität ist für den Arbeitsmarkt wie auch für die Parteien im Einzelfall zentral. Die Kündigungsfreiheit wird dabei durch den zeitlichen und sachlichen Kündigungsschutz sinnvoll begrenzt. Bei der Beurteilung einer allfälligen Missbräuchlichkeit verfügen die Gerichte im Streitfall über einen grossen Ermessensspielraum. Dies führt zwar zu einem gewissen Grad an Rechtsunsicherheit, ermöglicht aber auch, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren und jeden Einzelfall individuell zu erfassen. Wichtig zu wissen ist dabei, dass Gerichte ein lediglich unanständiges oder unprofessionelles Verhalten von Arbeitgebenden nicht sanktionieren (auch wenn Arbeitnehmende sich dies oft erhoffen).

Als Schwäche sehe ich die schwierige Rechtsdurchsetzung vor Gericht (hohe Kosten, lange Verfahrensdauer). Zum Glück verfügen immer mehr Arbeitnehmende über eine Rechtsschutzversicherung, damit auch solche mit tiefen und mittleren Löhnen zu ihrem Recht kommen können.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Meine Tipps gehen an beide Parteien gleichermassen.

Einerseits: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!» – nicht im Sinn von Überwachung, sondern im Hinblick darauf, dass wichtige Fakten, Entscheide und Vereinbarungen in einer für die Gegenseite erkennbaren Form schriftlich dokumentiert werden (E-Mail, SMS, handschriftliche Notiz auf einer Leistungsbewertung usw.; quasi geheime Tagebucheinträge oder Arbeitszeitaufzeichnungen, die erst im Streitfall gezückt werden, sind weniger hilfreich). Es geht nämlich zu oft vergessen, dass sich (Arbeits-)Beziehungen verändern, Freund- und Seilschaften nicht zwingend für immer halten und es schlussendlich vor Gericht entscheidend darauf ankommt, was man (schriftlich) beweisen kann.

Andererseits: mehr Kommunikation, Reflexion und Wertschätzung auf beiden Seiten. Mich erstaunt immer wieder, wie wenig versucht wird, das eigene Handeln zu überdenken, sich auch mal in die Gegenseite hineinzuversetzen und ihr die eigene Position nachvollziehbar zu erklären (etwa weshalb eine Kündigung ausgesprochen oder eine Forderung gestellt wird). Ich bin überzeugt, dass eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten damit vermieden oder zumindest schneller gelöst werden könnte.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Klienten kommen vermehrt mit fixen Vorstellungen über die Rechtslage auf mich zu, nachdem sie sich via Google, Gemini, ChatGPT oder ähnlicher Suchfunktion schlau gemacht haben. Dabei geht vergessen, dass Arbeitsrecht in vielen Bereichen stark einzelfallabhängig ist und nicht so einfach von einem publizierten Fall auf den eigenen geschlossen werden kann. Vergessen geht weiter, dass Recht haben und Recht bekommen vor Gericht nicht das Gleiche ist und immer mitberücksichtigt werden muss, was in welcher Form prozessual bewiesen werden kann. Bestimmt werden die Suchfunktionen in den kommenden Jahren besser, im Moment können sie eine gute arbeitsrechtliche Beratung aber noch nicht ersetzen.

In den letzten Jahren hat im Übrigen ein gewisser Automatismus eingesetzt, dass Arbeitnehmende bei einem Konflikt oder nach einer Kündigung umgehend und teils lange arbeitsunfähig werden. In der Beratung bin ich schon fast überrascht, wenn es ausnahmsweise mal anders ist. Die Entwicklung schadet sowohl den Arbeitgebenden, den Teamkollegen und der Gesamtwirtschaft als auch den Betroffenen. Abnehmende Resilienz und Kommunikationsfähigkeit betreffen aber nicht nur Arbeitnehmende, sondern stellen ein gesellschaftliches Phänomen dar.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht / Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Definitiv Digitalisierung und KI. Der Arbeitsmarkt wird einen Strukturwandel erleben, viele Berufe werden wegfallen, andere neu hinzukommen. Auch die Arbeit als Juristin, Rechtsanwältin oder Richterin wird sich grundlegend verändern. Meiner Meinung nach wird aber die Nachfrage nach einer persönlichen, strategischen, kreativen und empathischen Beratung, Verhandlungsführung und Vertretung so schnell nicht wegfallen, gerade im Bereich Arbeitsrecht.

Flora Stanischewski | legalis brief ArbR 21.08.2025