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VORGESTELLT

Anina Kuoni – «Es besteht Raum für die Weiterentwicklung des Schweizer Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung.»

Arbeitsrecht

Anina Kuoni hat sich seit Beginn ihrer Tätigkeit in Basler Wirtschaftskanzleien auf die Bereiche Arbeitsrecht, öffentliches Dienstrecht sowie Beschaffungs- und Vertragsrecht spezialisiert. Als Fachanwältin SAV Arbeitsrecht berät und vertritt sie ihre Klientschaft in sämtlichen Belangen des privaten und öffentlichen Arbeitsrechts. Sie unterstützt Vergabestellen bei der Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung von öffentlichen Ausschreibungen und vertritt sie bei der Abwehr von Beschwerden. Anina Kuoni ist zudem Dozentin in verschiedenen Lehrgängen für Arbeits- und Beschaffungsrecht.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Als Anwältin bin ich jeden Tag mit Fragen rund um das Arbeitsrecht befasst. Während meine Büropartnerin und ich in unserer Anwaltskanzlei die Arbeitgeberrolle wahrnehmen, befinde ich mich im Rahmen meiner Nebenbeschäftigung als Dozentin selbst in einem Anstellungsverhältnis. Diesen Perspektivenwechsel zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite schätze ich sehr. Ich erlebe ihn auch tagtäglich in meiner Tätigkeit als Anwältin, da ich sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende vertrete.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

In einem Arbeitsverhältnis stand ich das erste Mal als Schülerin im Rahmen eines Ferienjobs in einer Maschinenfabrik. Als Anwältin wurde ich bei einem meiner ersten Mandate überhaupt mit den unterschiedlichsten arbeitsrechtlichen Fragestellungen konfrontiert (vgl. unten).

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Im Rahmen von arbeitsrechtlichen Konflikten sind meine Klientinnen und Klienten oftmals mit einer stark divergierenden Fremd- und Selbstwahrnehmung konfrontiert. Das kann sowohl auf der Arbeitgeber- als auch auf der Arbeitnehmerseite zu scheinbar unüberwindbaren Hürden führen. Vor diesem Hintergrund für beide Seiten akzeptable einvernehmliche Lösungen zu finden, ist herausfordernd und spannend zugleich.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Als ich meine Tätigkeit als Anwältin aufnahm, war eines meiner ersten Mandate die Beratung einer international tätigen Unternehmung. Vom ersten Tag an bearbeitete ich arbeitsrechtliche Themen in ihrer ganzen Vielfalt: vom Betriebsunfall über GAV-Inhalte bis hin zu einer Massenentlassung, die ich dann sehr eng begleitet habe. Diese Episode war prägend, weil sie mich nicht nur fachlich Vieles gelehrt, sondern mir auch aufgezeigt hat, dass Verantwortung, Respekt und Wertschätzung im Arbeitsrecht eine grosse Rolle spielen. Die allseits vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit bleibt unvergessen.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Am Schweizer Arbeitsrecht schätze ich die sich innerhalb der Leitplanken zwischen Vertragsfreiheit und zwingenden gesetzlichen Schranken ergebenden Möglichkeiten zur Ausgestaltung und Aufhebung von Arbeitsverhältnissen.

Für die betroffenen Personen ist es manchmal jedoch schwer zu akzeptieren, dass es jeweils auf die Umstände des konkreten Einzelfalles ankommt und scheinbar gleiche Fälle «ungleich» behandelt werden. Das erfordert in der Beratung ein entsprechendes Bewusstsein, Geduld und Transparenz.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Eine wertschätzende und respektvolle, aber auch klare Kommunikation ist wichtig. Probleme, Unzufriedenheiten usw. sollten frühzeitig angesprochen werden, nicht nur im Rahmen der ordentlichen Mitarbeitendengespräche. Eine entsprechende Dokumentation bedeutet Transparenz und erleichtert die Beweisführung in einer allfälligen späteren gerichtlichen Auseinandersetzung.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Ein Aspekt der Veränderung ist für mich die Weiterentwicklung des Schweizer Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung. Weil unsere gesetzlichen Grundlagen Erscheinungen unserer Zeit teilweise gar nicht (z.B. Whistleblowing) oder noch nicht (z.B. Telearbeit) abbilden oder nicht abschliessende Aufführungen (z.B. Tatbestände der missbräuchlichen Kündigung) enthalten, besteht Raum für die Weiterentwicklung des Rechts. In unserem Alltag als Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler ist die Beobachtung dieser Entwicklungen und deren Anwendung auf die eigenen Fälle eine ständige Konstante.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Unsere (Arbeits-)Welt ändert sich stetig und immer schneller. Digitalisierung, globale Entwicklungen, der demografische Wandel in der Schweiz und Fachkräftemangel sind nur einige der Themen, die uns beschäftigen und erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben und haben werden.

Christine Bassanello | legalis brief ArbR 23.10.2025