Myriam Büchi – «Sehr viele arbeitsrechtliche Streitigkeiten könnten durch vorzeitige, offene und ehrliche Kommunikation vermieden werden.»

Arbeitsrecht

Myriam Büchi ist Anwältin und seit über 10 Jahren ausschliesslich im Arbeitsrecht tätig. Seit Januar 2021 ist sie als Head of Employee Relations & Health Management beim Telekommunikationsunternehmen Sunrise tätig, berät die Personalabteilung in allen arbeitsrechtlichen Belangen und fungiert als Bindeglied zwischen Sunrise als Arbeitgeberin und der internen Arbeitnehmendenvertretung sowie der Gewerkschaft. Davor war sie 10 Jahre bei PwC, zuerst in der externen Rechtsberatung, wo sie schweizerische und internationale Kunden im Bereich Arbeitsrecht und Immigration beraten hat, und danach im internen Rechtsdienst. Auch in ihrer vorherigen Tätigkeit bei einer Schweizer Bank hat sie vorwiegend die Personalabteilung beraten. Es ist ihr ein wichtiges Anliegen, stets Lösungen bieten zu können, die rechtlich belastbar sind, jedoch auch in der Praxis umgesetzt werden können und pragmatisch sind.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Ich bin seit nun beinahe 15 Jahren fast ausschliesslich im Arbeitsrecht tätig und habe sowohl in der externen Kundenberatung wie auch intern im Rechtsdienst gearbeitet.  Seit 2 1/2 Jahren habe ich die Position als Head of Employee Relations & Health Management bei der Sunrise GmbH inne, eingebettet im People Department, d.h. die Personalabteilung. Dort unterstütze ich meine Kollegen und Kolleginnen in allen möglichen Situationen, bei denen das Arbeitsrecht eine Rolle spielt: von GAV und Lohnverhandlungen über Kündigungen, Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmendenvertretung zu Restrukturierungen, und Konfliktgesprächen - und vieles mehr. Mein Arbeitsalltag spielt sich mitten im Arbeitsrecht ab.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Mein erster wohl eher oberflächlicher Berührungspunkt mit dem Arbeitsrecht war während dem Studium an der Uni Fribourg - Arbeits- und Sozialversicherungsrecht waren im 2. Studienjahr obligatorische Prüfungsfächer. Für die Anwaltsprüfung musste ich mich dann vertiefter mit dem Arbeitsrecht auseinandersetzen aber erst als Legal Counsel in der Rechtsabteilung einer Bank musste ich dann die Theorie auch wirklich anwenden: Da habe ich mir im Zusammenhang mit dem Überprüfen von Schichtplänen schon fast die Zähne ausgebissen - die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes mögen in der Theorie klar sein, in der Praxis aber nur schwer umsetzbar.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Seit ich selber in der Personalabteilung eines Unternehmens mit fast 3'000 Mitarbeitenden eingebettet bin, sehe und verstehe ich viel mehr die Herausforderungen, mit denen HR konfrontiert ist: Mitarbeitende und Vorgesetzte fordern oftmals eine sofortige Lösung ihres Problems, sei dies nun auf (zwischen)menschlicher Ebene, auf einer Systemebene oder einfach grundsätzlich. Da besteht nur beschränkt Verständnis dafür, dass eine Antwort oder eine Lösungsfindung etwas länger dauert, da noch etwas abgeklärt oder intern abgestimmt werden muss, oder ein Thema systemtechnisch nicht so umgesetzt werden kann, wie gewünscht.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Ich habe eine Mitarbeitende  in einer schwierigen Konfliktsituation begleitet. Nachdem wir nach mehreren Gesprächen mit verschiedenen Personen eine Lösung gefunden haben, hat sich diese persönlich bei mir bedankt für die Unterstützung und die Zeit, die ich mir für sie genommen habe. Ich habe mich sehr darüber gefreut zu hören, dass sich mein Einsatz gelohnt hat und ich jemandem persönlich weiterhelfen konnte - und habe den spendierten Sommerdrink sehr gerne entgegengenommen. Nicht immer finden sich zufriedenstellende Lösungen und nicht immer erhält man Feedback zu dem, was man gemacht hat. Umso mehr freut man sich über eine solche Rückmeldung.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Das Schweizer Arbeitsrecht ist gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern äusserst liberal und im Grundsatz einfach. Darin sehe ich die grösste Stärke. So ist z.B. das Massenentlassungsverfahren oder das Verfahren bei einem Betriebsübergang relativ einfach anzuwenden - zumindest im Vergleich zu den Verfahren in unseren direkten Nachbarstaaten. Selbstverständlich liegt dann die Krux jeweils im Detail und je nach konkreter Situation kann einfaches dann doch relativ komplex werden in der konkreten Umsetzung.

Das Arbeitsgesetz ist ein wichtiges Gesetz, das dem Schutz der Arbeitnehmenden dient. Es deckt sich jedoch in sehr vielem nicht mit den Bedürfnissen der heutigen Arbeitswelt und dem Wunsch vieler Arbeitnehmenden nach mehr zeitlicher Flexibilität. Das Arbeitsgesetz und dessen Verordnungen ist sodann ein Flickwerk bestehend aus Grundsätzen, Ergänzungen, Ausnahmen und Ausnahmen von Ausnahmen. In der Praxis ist es schwierig, überhaupt einen Überblick zu haben über alle Bestimmungen und diese dann auch sinnvoll umzusetzen.

Welcher wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, welcher an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber?

Ich habe für beide Seiten, für Mitarbeitende wie auch Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen denselben Tipp: Sprecht mehr miteinander, kommuniziert und tauscht euch aus. Sehr viele Konflikte, die dann in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten enden, könnten durch vorzeitige, offene und ehrliche Kommunikation vermieden werden.

Wie hat sich das Arbeitsrecht /Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Der Arbeitsmarkt ist allgemein viel «schnelllebiger» geworden. Mitarbeitende haben nicht mehr unbedingt das Ziel, möglichst lange bei einem Unternehmen zu bleiben. Man will den Horizont erweitern, neue Erfahrungen sammeln und nicht an einem Ort stehenbleiben. So anders ist das aber auch nicht für die Arbeitgeber: Man ist interessiert an Mitarbeitenden, die Erfahrungen aus anderen Unternehmen mitbringen, die frischen Wind und neue Ideen einbringen.

Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Der Arbeitsmarkt ist heutzutage einem grösseren Konkurrenzkampf ausgesetzt, vor allem auf Arbeitgeberseite. Man muss als Arbeitgeberin attraktiv sein, nicht nur gute Löhne bezahlen, sondern sich mit zusätzlichen Benefits und/oder spannenden Arbeitszeitmodellen und einer flexiblen Arbeitsplatzgestaltung (Stichwort: mobiles Arbeiten) von anderen abheben. Gerade bei den Arbeitszeitmodellen ist dann aber das starre Schweizer Arbeitsgesetz oft ein Hindernis oder die vielen ungeklärten Fragen im Bereich Steuerrecht, wenn es um Arbeiten im Ausland geht, erschweren die flexible Arbeitsplatzgestaltung. Hier wird es in den nächsten Jahren noch zu vielen Anpassungen in unserem Arbeitsrecht aber auch in den zwischenstaatlichen Abkommen kommen müssen, ansonsten klaffen die Realität und die gesetzlichen Vorgaben immer mehr auseinander. Wichtig erscheint mir, dass wir den Gedanken der Sozialpartnerschaft weiterhin leben können und uns nicht in eine Richtung entwickeln, bei der Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer nicht mehr miteinander sprechen, so wie wir dies z. T. in unseren Nachbarstaaten beobachten.

Christine Bassanello | legalis brief ArbR 19.09.2023