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VORGESTELLT

René Hirsiger – «Das Arbeitsrecht lebt von wirtschaftlichen Zwängen und menschlichen Emotionen.»

Arbeitsrecht

René Hirsiger schloss sein Studium im Jahr 2006 an der Universität St. Gallen ab, wo er auch promovierte. Dazwischen absolvierte er das Anwaltspraktikum in einer führenden Wirtschaftskanzlei in Zürich und an einem Gericht. Er ist seit 2011 als Anwalt im Arbeitsrecht tätig, seit 2013 bei Blesi & Papa. Er ist Fachanwalt SAV Arbeitsrecht und eidg. dipl. Sozialversicherungsfachmann.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Ich arbeite tagtäglich im Arbeitsrecht. Zudem bin ich als Partner unserer Kanzlei Arbeitgeber und erlebe das Arbeitsrecht auch aus dieser Perspektive.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Als ich während den Schulferien jobbte und meinen ersten Arbeitsvertrag unterschreiben durfte.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Das Arbeitsrecht lebt von wirtschaftlichen Zwängen und menschlichen Emotionen. Probleme im Erwerbsleben bzw. mit dem Personal werden häufig als subjektiv dringend und übermässig wichtig empfunden. Als Berater muss man alle Umstände unter einen Hut bringen und dabei das Tempo festlegen, die Leute emotional abholen und die Prioritäten richtig setzen. Das ist nicht immer einfach.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Besondere Momente sind für mich jene, in denen man für einen Klienten etwas Gutes tun konnte und dabei die Wertschätzung und Freude erfährt. Jüngst erlebte ich dies wieder, als ich ein grösseres Unternehmen durch eine schwierige Massenentlassung mit Sozialplanverhandlung begleiten und dabei von den Verantwortlichen enorme Wertschätzung über die Fortschritte und das Ergebnis erleben durfte.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Das Arbeitsrecht in der Schweiz profitiert von einer gesunden Balance zwischen Rechten und Pflichten sowie vom Umstand, dass sich der Gesetzgeber auf Grundsätze beschränkt und so viel Spielraum für Gestaltung und die Anwendung des gesunden Menschenverstands belässt. Nachbessern könnte man sicher bei unverständlichen und teilweise schlicht nicht umsetzbaren Regelungen im Arbeitsgesetz. Hier besteht nach meiner Wahrnehmung zuweilen eine Kluft zwischen der gelebten Realität der Wirtschaft und bestimmten Wertvorstellungen der Behörden.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Ein Tipp, der für beide Seiten gilt: Reden statt regeln! Differenzen werden nicht durch mehr Regelungen verhindert, sondern durch eine verstärkte, regelmässige Kommunikation. Das ist zwar zeitaufwändig, aber nachhaltiger und damit letztlich kosteneffizienter.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Der rechtliche Rahmen hat sich in den letzten Jahren kaum nennenswert verändert. Die Art, wie die Arbeit erbracht wird, hingegen schon. Nach dem Trend zu Mobilität und Homeoffice, befeuert durch die Digitalisierung, und der pandemieverursachten Konsolidierung transformiert sich der Arbeitsmarkt weiter durch den Einfluss der Künstlichen Intelligenz. Von den Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden wird derzeit sehr viel verlangt.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Ich erwarte, dass sich der Gesetzgeber nicht vollends gegen den Trend zu nachhaltigerem Wirtschaften durch Regulierung verschliessen können wird (Stichworte: ESG, Gender-Pay-Gap, Energiemangellage). Er ist auch bei der Finanzierung der Sozialwerke stark gefordert. Ich rechne deshalb mit punktuellen Änderungen des Arbeitsrechts im nächsten Jahrzehnt. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich derzeit durch die nach wie vor zunehmende Digitalisierung und die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz stark weiter. Diese Entwicklung wird vermutlich nochmals an Tempo und Wirkung gewinnen.

Flora Stanischewski | legalis brief ArbR 22.05.2024