Hans «Jonny» Wiprächtiger – «Ich würde gerne ein Jahr lang einer Staatsanwaltschaft vorstehen.»
Straf- & Strafprozessrecht
Hans Wiprächtiger war bis 2011 Mitglied der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts. Seit 2012 ist er als Rechtsanwalt in Basel tätig, u.a. auch als Strafverteidiger. Er ist Mitherausgeber der Basler StGB- und StPO-Kommentare.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?
Im Studium.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Es ist oft nicht einfach, Klientinnen und Klienten, die häufig sprachliche Schwierigkeiten haben und bildungsfern sind, das Vorgehen beim Prozess des Strafens (formell und materiell) und die Chancen einer Anfechtung eines Strafbefehls oder eines Strafantrages aufzuzeigen und ihnen meine Unterstützung zu erklären.
Welcher Themenbereich stellt derzeit die grösste Herausforderung dar?
Wie bereits angetönt, ist es bei der Strafverteidigung das Prozessrecht, das die Schwächeren benachteiligt, Stichwort Strafbefehl.
Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?
Ein Rollentausch für einen Tag bringt mir nichts. Ich würde aber gerne ein Jahr lang einer Staatsanwaltschaft vorstehen, um die Rechte der Schwächeren im Strafprozess, die klar benachteiligt werden, zu stärken.
Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?
Nein.
Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?
Strafen machen Leute nicht zu besseren Menschen, aber sie können doch dazu beitragen, dass Bürgerinnen und Bürger, die gegen die von der Gemeinschaft geschaffene Ordnung verstossen haben, diese nun akzeptieren und den Sinn von derartigen Regelungen annehmen können. Dazu braucht es keine hohen Strafen, sodass in aller Regel Strafen im unteren und mittleren Rahmen genügen. Fehleinschätzungen sind zwar möglich, vermögen aber das Konzept von massvollen Strafen nicht in Frage zu stellen.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?
Es ist wohl durchaus möglich, gewisse materielle Strafbestimmungen zu streichen (z.B. im Ehrverletzungsbereich). Aber ändern muss sich in allererster Linie das Strafprozessrecht, das die Verteidigungsmöglichkeiten klar stärken sollte.
Hannah Frey | legalis brief StrR 18.06.2024