Iris Alexandra J. Weidmann – «Es ist nicht Aufgabe des Strafrechts, den Menschen moralisch zu erziehen.»

Straf- & Strafprozessrecht

Iris Weidmann ist seit März 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forschung & Entwicklung von Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich tätig. Sie hat nach ihrem Bachelor in Rechtswissenschaften an der Universität Basel ihren Master mit Schwerpunkt Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern inkl. eines Studiensemesters an der Universität Bergen in Norwegen absolviert. Danach ist sie als Assistentin an die Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht von Prof. Dr. iur. Sabine Gless der Universität Basel zurückgekehrt, wo sie zum Thema Strafbarkeit von Diagnostik und Therapie mit "virtual reality", Virtuelle Kinderpornografie im Lichte von Art. 197 StGB promoviert hat. In diesem Rahmen verbrachte sie zwei vom SNF finanzierte Forschungssemester an der Universität Hannover und der University of Toronto. Derzeit absolviert sie einen Master in forensischer Psychologie an der Universität Konstanz.

Wann sind Sie das erste Mal mit Strafrecht in Kontakt gekommen?

Während meiner Jugend habe ich viele Wochenenden mit einer Gruppe Gleichaltriger verbracht, welche gerne an ihren «Töffli» herumbastelten und von den Strafverfolgungsbehörden immer wieder stundenlang festgehalten und durchsucht wurden, ohne dass aber jeweils Anzeigen o.ä. erfolgten. Diese als Schikane wahrgenommene Aufmerksamkeit habe ich vor dem Hintergrund sehr viel schwererer Straftaten, welche in meinen Augen eben diese Aufmerksamkeit deutlich mehr verdient gehabt hätten, als disproportional und ungerecht empfunden. Ich habe deshalb mit 16 Jahren beschlossen, mich für eine gerechtere Strafjustiz einzusetzen, und folge diesem Wunsch bis heute.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Unsere praxisbezogene Forschung ist einerseits an oft dringliche, konkrete Fragestellungen im Justizvollzug geknüpft, deren Beantwortung direkten Einfluss auf die betroffenen Personengruppen nehmen kann. Dadurch trägt man viel Verantwortung. Andererseits bewegen wir uns in einem interdisziplinären Kontext, in welchem ausserrechtliches wissenschaftliches Fachwissen zusammengetragen und normativ eingeordnet werden muss. Zur Vornahme dieser normativen Ausdeutung arbeiten wir in einem interdisziplinären Team, man muss aber auch als Rechtswissenschaftlerin oder Rechtswissenschaftler über den eigenen Tellerrand schauen und ein Bewusstsein für die Grundlagen und Methodik der unterschiedlichen Disziplinen entwickeln. Das kann anspruchsvoll sein, ist aber äusserst spannend.

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Mit einer Ersten Staatsanwältin. Die Staatsanwaltschaft steht sehr weit oben auf meiner Wunschliste möglicher zukünftiger Praxistätigkeiten – verwurzelt bin ich aber im akademischen Feld und möchte diesen wissenschaftlichen Weg weiterverfolgen.

Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?

Die teilweise sehr schweren Schicksale von inhaftierten Personen aus unseren Fallakten rufen mir mein Privileg, aufgewachsen zu sein, wie ich es bin, die Unterstützung von Familie, Freunden und dem Arbeitsumfeld zu geniessen und die Möglichkeit meiner Leidenschaft folgend zu studieren, immer wieder in Erinnerung. Wer kann wissen wo er/sie wäre, wären die Umstände derart anders gewesen?

Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?

Das kommt ganz darauf an, was damit gemeint ist. Es ist nicht Aufgabe des Strafrechts, den Menschen moralisch zu erziehen bzw. zu bessern. Sind Sanktionen aber auf die Resozialisierung und Wiedereingliederung straffällig gewordener Personen ausgerichtet, können diese bestenfalls lernen, zukünftig ein straffreies Leben zu führen und anderen nicht weiter (strafrechtlich relevant) zu schaden.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess)?

Ich würde den Justizvollzug, die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung vollständig evidenzbasiert ausrichten, sodass Entscheide auf einer wissenschaftlichen Grundlage fussen, und wo eine solche fehlt, diese schnellstmöglich geschaffen wird. Basierend auf den Erkenntnissen aus meiner Dissertation würde ich beispielsweise die Ausnahmeklausel in Art. 197 Abs. 9 StGB ergänzen, damit Ärzte zukünftig Personen mit einer Pädophilie effizienter und exakter diagnostizieren und therapieren und so langfristig Kinder vor sexuellen Übergriffen schützen könnten.

Mateja Smiljic | legalis brief StrR 15.02.2024