Nicole Catherine Guthauser – «Höflichkeit und Respekt gegenüber der zu verdolmetschenden Person ist sehr wichtig, damit alles auf einer ruhigen Ebene läuft.»
Straf- & Strafprozessrecht

Nicole Catherine Guthauser hat einen Abschluss als Magister phil., ist ausgebildete Dolmetscherin (Ausbildung in Österreich und Italien) und arbeitet hauptsächlich als Gerichtsdolmetscherin. Sie wuchs mit einem französischsprachigen und einem österreichischen Elternteil auf. Sie hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Frankreich, wo ihr Hobby ihr grosser Garten ist.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?
Mit dem Vertragsrecht sehr früh, denn ich arbeitete viele Jahre in der Rechtsabteilung der damaligen Ciba-Geigy und habe Verträge übersetzt, damals noch mit der Schreibmaschine und danach mit den ersten Computern, eine mühsame Geschichte, an die ich mich aber heute gerne zurückerinnere.
Mit dem Strafrecht kam ich erst nach der Geburt meiner beiden Töchter in Kontakt, als ich mich vor einigen Jahrzehnten als Dolmetscherin bei den Strafverfolgungsbehörden bewarb. Das Strafrecht war für mich immer schon eine sehr fesselnde, spannende Materie, und ich liebe es bis heute. Vor allem die Kombination mit der zu verdolmetschenden Sprache und dann die diversen Fachausdrücke, die z.B. im Französischen oftmals anders heissen als im Schweizer Strafrecht.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Das Verdolmetschen von strafrechtlich in Erscheinung getretenen Menschen finde ich sowohl eine Herausforderung als auch eine Bereicherung. Ich habe mit Menschen aus allen Schichten zu tun, was die Arbeit sehr spannend macht.
Ich versuche immer neutral zu bleiben. Höflichkeit und Respekt gegenüber der zu verdolmetschenden Person ist sehr wichtig, damit alles auf einer ruhigen Ebene läuft. Egal ob ich einen Mörder oder eine Ladendiebin verdolmetsche, ich behandle alle gleich. Ich bin nicht da, um zu richten. Ich gebe den Menschen lediglich meine Stimme. Manchmal ist dies, bei schweren Straftaten, eine grosse Herausforderung, da ich ja in der Ich-Form verdolmetsche.
Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?
Mit meinem Grosscousin und Vorbild, Dr. iur. Manfred Fritz aus Graz. Er ist zwar kein Strafrechtler, aber ein grossartiger Richter. Er arbeitete beim Landesgericht für Zivilrechtssachen, zuletzt als Vorsitzender des Rechtsmittelsenates und die letzten 7 Jahre seiner beruflichen Laufbahn war er Vorsteher des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz, welches das zweitgrösste Gericht Österreichs ist. Mit ihm hätte ich liebend gerne einen Tag die Rollen getauscht.
Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?
Ja, absolut. Ich sehe in menschliche Abgründe, in furchtbare Schicksale aber auch das Positive, wenn sich eine strafgefangene Person bei mir für die Verdolmetschung bedankt. Aber insgesamt hat sich meine Sicht auf Menschen in den vielen Jahrzehnten meiner Arbeit schon verändert.
Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?
Nein. Jede Strafe hat eine Vorgeschichte. Mit meiner langjährigen Erfahrung behaupte ich, dass keine Strafe einen Menschen verbessert, vielleicht zum Nachdenken bringt, aber auch das nicht immer.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)
Die Schweiz hat ein gut funktionierendes Rechtssystem, ich würde da nichts ändern, auch wenn ich es könnte.
Sandra Schultz | legalis brief StrR 19.08.2025