Angelo Imperiale – «Die Strafe ist die Antwort des Staates auf einen Verstoss gegen demokratisch aufgestellte und damit gesellschaftlich verbindliche Normen des Miteinanders.»
Straf- & Strafprozessrecht

Angelo Imperiale ist seit Januar 2025 Gerichtspräsident am Strafgericht Basel-Stadt. Zuvor war er im Anschluss an das Advokaturexamen im Jahr 2014 rund fünf Jahre als Anwalt in Basel und danach rund vier Jahre als Gerichtsschreiber am Strafgericht Basel-Stadt tätig.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?
Soweit ich mich erinnere, las ich als Kind Mitte der Neunzigerjahre in der Zeitung die Schlagzeile «Lebenslänglich für Ferrari». Ich fragte meine Eltern aus Neugier nach der Bedeutung dieser Schlagzeile und erfuhr, dass der Verurteilte mehrere Kinder getötet hatte und dass der Staat in einem solchen Fall reagiert und jemanden gar bis zum Ende seines Lebens ins Gefängnis schicken kann. Zum einen erschütterte mich als Kind die Vorstellung, dass eine erwachsene Person Kinder tötet. Zum anderen war ich in gewisser Weise beruhigt, weil ich mir vorstellte, dass in solchen Fällen jeweils eine «gerechte» Strafe folgen und der Täter so keine weiteren derartigen Taten mehr verüben würde. Gleichzeitig war für mich die Vorstellung, bis zum Tode hinter Gittern zu sein, bedrückend. In der Folge stellte ich mir bei in den Medien publik gemachten Strafurteilen regelmässig die Frage nach der Angemessenheit, später auch immer mehr nach der Sinnhaftigkeit der verhängten Strafe. Diese Frage begleitet mich bis heute.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Im Stadium der Instruktion ist v.a. in grossen (Haft-)Fällen der Spagat zwischen der Erlangung der Aktenkenntnisse und dem zügigen Vorantreiben des Verfahrens herausfordernd.
Während der Hauptverhandlung habe ich neben der eigentlichen Verhandlungsführung auch darauf zu achten, den vorgesehenen Zeitplan einzuhalten. Wenn geladene Personen warten müssen, ist das unangenehm, v.a. für Opfer. Teilweise gerät dieser Plan aber ins Wanken, da Verhandlungen auch unvorhergesehene Wendungen nehmen können. Daher ist es wichtig, beim Ansetzen der Verhandlung eine angemessene Reserve vorzusehen, die aber nicht zu Leerläufen oder unnötig belegten Gerichtssälen führen sollte.
Als schwierigste, aber auch wichtigste Aufgabe empfinde ich jedoch regelmässig das Finden der angemessenen Sanktion. Hierfür möchte ich in der Beratung denn auch stets ausreichend Zeit finden, da dies für die Beurteilten die wirklich relevante und interessierende Frage ist.
Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?
Spannend fände ich den Einblick in die Tätigkeiten einer Strafbehörde, die gegen das organisierte Verbrechen ermittelt – wie etwa in Italien – oder eines Kriegsverbrechertribunals. Der Rollentausch für einen Tag würde mir aber wohl reichen, da mir die persönliche Exposition bei einer Anti-Mafia-Behörde bzw. die ausschliessliche Auseinandersetzung mit kriegerisch bedingten Gräueltaten zermürbend erscheint. Lehrreich für meine Funktion als Strafgerichtspräsident wäre sicher auch der Rollentausch mit Strafgefangenen.
Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?
Nein. Es gibt ohne Frage sehr schwerwiegende Einzelfälle, gleichzeitig aber auch viele Fälle, die sich auf den ersten Blick stark gleichen und einen deshalb zu voreiligen Schlüssen verleiten könnten. Dennoch habe ich mir bis anhin mein grundsätzliches Vertrauen in das Gute im Menschen und insbesondere meine Unvoreingenommenheit gegenüber anderen nicht nehmen lassen.
Machen Strafen Menschen zu bessern Leuten?
Es steht m.E. den Strafbehörden nicht zu, zu definieren, was ein guter Mensch ist. Auch sind Strafbehörden keine «moralischen Instanzen». Die Strafe ist letztlich die Antwort des Staates auf einen Verstoss gegen demokratisch aufgestellte und damit gesellschaftlich verbindliche Normen des Miteinanders. Welches menschliche Handeln eine Strafe nach sich ziehen und in welcher Form gestraft werden soll, darüber kann und muss laufend diskutiert werden. Dass es aber grundsätzlich dem Staat vorbehalten ist, auf einen Verstoss dieser Normen zu reagieren, ist m.E. zentral. Selbstjustiz und Faustrecht dürfen nie eine Option sein. Das Ziel beim Strafen besteht m.E. darin, eine verschuldensangemessene Strafe zu verhängen, die es dem/der Bestraften ermöglicht, inskünftig von weiteren Straftaten abzusehen. Gleichzeitig soll mit der Strafe aber auch den Geschädigten und der Gesellschaft aufgezeigt werden, dass ein Normverstoss Folgen hat. Ich bin der Ansicht, dass die Schweiz hier im internationalen Vergleich einen guten Weg geht.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?
Ich würde die Ehrverletzungsdelikte aus dem Katalog der Strafnormen streichen oder aber zumindest auf die Stufe der Übertretungen setzen. Diese stellen für mich grundsätzlich rein private Händel dar. Dass etwa eine Beschimpfung einen Strafregistereintrag nach sich zieht, erachte ich als völlig unangemessen. Auf prozessualer Ebene würde ich das Abwesenheitsverfahren verschärfen. Bei gehöriger Vorladung sollte schon bei der ersten unentschuldigten Abwesenheit ein Kontumazurteil mit dem Recht auf neue Beurteilung ergehen dürfen. Die jetzige Regelung führt häufig zu absurden Leerläufen.
Sandra Schultz | legalis brief StrR 17.09.2025