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VORGESTELLT

Diana Göllrich – «Strafen allein bewirken oft keine tiefgreifende Veränderung, wenn sie lediglich als reine Bestrafung wahrgenommen werden.»

Straf- & Strafprozessrecht

Diana Göllrich ist als Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei in Basel tätig und ist nebenamtliche Richterin am Strafgericht des Kantons Basel-Stadt. 

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?

Mit Beginn meines Studiums bin ich das erste Mal mit Strafrecht in Kontakt gekommen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Unvoreingenommen zu bleiben ist vielleicht die wichtigste und schwierigste richterliche Aufgabe. Dabei ist es unerlässlich für die rechtliche Bewertung, sich gründlich in Sachverhalte und die gefragte Materie einzuarbeiten. Derjenige, der am Ende die Entscheidung trifft, sollte ganz genau verstanden haben, worum es geht. Die inhaltliche Vielseitigkeit ist wahrscheinlich eine der grössten Herausforderungen dieses Berufs. Vor allem in Strafprozessen erfahren Richter aus nächster Nähe erschütternde menschliche Schicksale. Sie müssen damit umgehen können und trotz der belastenden Situation ein rationales Urteil fällen.

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Joan Ruth Bader Ginsburg. Sie engagierte sich für die Gleichstellung der Geschlechter und behielt ihre eigenen Überzeugungen bei. Sie liess sich nicht verbiegen und blieb sich stets treu.

Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?

Die Erfahrungen mit dem Strafrecht kann die Sicht auf Menschen grundsätzlich beeinflussen. Einerseits ermöglichen solche Erfahrungen ein besseres Verständnis der menschlichen Verhaltensweisen, insbesondere der Umstände, die zu Straftaten führen. Man lernt, dass viele Faktoren – wie sozioökonomische Bedingungen, psychische Gesundheit oder der Einfluss des sozialen Umfelds – eine Rolle spielen und dass Straftaten nicht immer auf «bösartige» oder rein kriminelle Absichten zurückzuführen sind.

Andererseits kann die Auseinandersetzung mit dem Strafrecht auch eine stärkere Wertschätzung für gesellschaftliche Normen, Gerechtigkeit und den Schutz von Opfern fördern. Sie schafft ein Bewusstsein dafür, wie das System sowohl schutzbedürftige als auch schuldige Menschen behandelt und wie wichtig ein fairer und ausgewogener Umgang ist. Oft wird einem klar, dass die Menschen nicht immer in einfache Kategorien von «gut» oder «böse» passen, sondern dass die Realität vielschichtiger ist.

Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?

Ob Strafen Menschen zu besseren Leuten machen, ist eine komplexe Frage, die stark von der Art der Strafe, der Situation und der Person abhängt. Strafen können grundsätzlich Verhaltensänderungen bewirken, wenn sie dazu führen, dass Menschen die Konsequenzen ihrer Handlungen verstehen und sie auch die Verantwortung dafür übernehmen. Besonders dann, wenn Strafen mit Rehabilitationsmassnahmen wie Therapie, Bildung oder beruflicher Qualifizierung verbunden sind, können sie Menschen helfen, sich positiv zu entwickeln und zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft beitragen. Allerdings bewirken Strafen allein oft keine tiefgreifende Veränderung, wenn sie lediglich als reine Bestrafung wahrgenommen werden. In solchen Fällen können sie sogar kontraproduktiv wirken, indem sie Ressentiments, soziale Isolation oder Rückfälligkeit fördern. Letztlich liegt es an jedem Menschen selbst, ob er sich mit seinem straffälligen Verhalten auseinandersetzt, die Ursachen ergründet und die erhaltene Strafe als Warnsignal sieht, um sein zukünftiges Leben in geordnete Bahnen zu lenken.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?

Das Strafsystem sollte mehr Gewicht auf Rehabilitation legen, insbesondere bei geringfügigen Straftaten und Ersttätern. Programme zur beruflichen Qualifizierung, psychologischen Unterstützung und sozialen Wiedereingliederung könnten den Betroffenen eine echte zweite Chance geben und Rückfälligkeit verhindern.

Cinzia Fallegger-Santo | legalis brief StrR 21.10.2024