Carmen Wettstein – «Die Schweiz ist bezüglich Mietrecht zweigeteilt.»

Mietrecht

Carmen Wettstein hat 1995 ihr Studium an der Universität Zürich mit dem Lizentiat abgeschlossen. Das Gerichtspraktikum absolvierte sie bei der Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich und beim Bezirksgericht Zürich; ihr Anwaltspatent erwarb sie 1999. Danach war sie beim Mieterinnen- und Mieterverband Zürich als Leiterin der Rechtsberatung angestellt. Ab Januar 2003 machte sie sich als Rechtsanwältin in der Advokatur Holbeinstrasse selbstständig. Daneben ist sie Referentin für Fachseminare zum Thema Geschäftsraummiete und Mietzinsgestaltung beim Verlag mietrechtspraxis/mp sowie Co-Autorin der 9. und 10. Auflage des Kommentars Mietrecht für die Praxis. Im Mai 2018 wurde sie zur Präsidentin des Mieterinnen- und Mieterverbandes Zürich gewählt.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?

Ich kam das erste Mal als Auditorin an der Schlichtungsbehörde Zürich mit dem Mietrecht in Kontakt. Zuvor hatte ich nicht einmal meinen eigenen Mietvertrag genau durchgelesen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Die Mailflut zu bewältigen, ist jeden Tag eine grosse Herausforderung. Ein kurzes Telefongespräch führt oft schneller zu einem Ergebnis.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?

Ich würde den Kündigungsschutz verstärken. Für Mieter, die älter und schon seit vielen Jahren in einem Quartier verwurzelt sind, ist es oft sehr schwierig, nach einer Kündigung eine neue Wohnung zu finden. In vielen Fällen haben sie kein Internet und wissen gar nicht, wie sie sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung machen sollen.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieter, welches an die Mieter?

Tipp an die Vermieter: Sanierungen im bewohnten Zustand durchführen. Bei unvermeidbaren Kündigungen den Mietern Ersatzwohnungen offerieren.

Tipp an die Mieter: Die Miete immer pünktlich zahlen.

Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Aus meiner Optik kommt es viel häufiger zu Kündigungen als früher. Mieter und Vermieter sind weniger nachsichtig miteinander.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?

Es ist begrüssenswert, dass ein Schlichtungsverfahren auch von Laien eingeleitet werden kann und nichts kostet.

Die Gerichtskosten und Parteientschädigungen am Mietgericht sind hingegen zu teuer. Ist jemand nicht rechtsschutzversichert, ist ein Verfahren kaum bezahlbar.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?

Die Wohnungsknappheit in den grossen Städten der Schweiz, insbesondere der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Mieter, die ein kleines Budget haben, werden nach einer Kündigung aus ihren Wohnungen und ihrem Quartier verdrängt.

Die Schweiz ist bezüglich Mietrecht und möglichen Gesetzesänderungen im Mietrecht zweigeteilt: Die Probleme der Stadtbewohner (zu wenige Wohnungen, zu hohe Preise) haben Mieter in abgelegenen ländlichen Regionen weniger. Das führt dazu, dass das Abstimmungsverhalten der Schweizer in städtischen und ländlichen Gebieten oft unterschiedlich ausfällt.

Christian Habegger | legalis brief MietR 08.03.2024