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VORGESTELLT

Sandra Heinemann – «Für Vermieter wird es immer herausfordernder, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten.»

Mietrecht

Nach ihrer Ausbildung an der Universität St. Gallen (HSG) war Sandra Heinemann bei einer Schweizer Grossbank im Bereich Legal und Compliance tätig. Im Anschluss an ihren Auslandaufenthalt absolvierte sie ein Gerichtspraktikum, seit 2008 ist sie beim Hauseigentümerverband Zürich beschäftigt. Dort hat sie zunächst in der telefonischen Rechtsauskunft Mitglieder beraten und an der Schlichtungsbehörde Zürich als Beisitzende die Hauseigentümer vertreten, dann die Leitung der Bewirtschaftungsabteilung übernommen. Mittlerweile ist sie als stellvertretende Leiterin des Rechtsdienstes des Hauseigentümerverbands Zürich, als Mietrichterin am Mietgericht Zürich sowie für interne und externe Schulungen tätig.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?

Während meiner Studienzeit als WG-Mieterin bei einem wunderbaren Vermieter, dem ich noch heute sehr dankbar bin, dass ich bei ihm wohnen durfte.

Ich wollte die ohne Dampfabzug in die Jahre gekommene Küchendecke herunterwaschen und neu streichen. Wie mir als Juristin (damals in spe) bestens bekannt war,  benötigte ich für diesen Mieterbau die vorgängige Zustimmung des Vermieters, welche mir mitsamt Lieferung von Material und (als Lohn) einer selbstgemachten Zwetschgenwähe gewährt wurde.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Seit vielen Jahren bin ich in der glücklichen Lage, einen der wohl abwechslungsreichsten Jobs ausführen zu dürfen.

Als stellvertretende Leiterin des Rechtsdienstes des Hauseigentümerverbands Zürich bin ich mit dem Rechtsteam verantwortlich für kompetente und ganzheitliche Beratungen und Schulungen aller ratsuchenden Mitglieder und Nichtmitglieder des Hauseigentümerverbands sowie der internen Mitarbeitenden der Bewertungs-, Verkaufs-, Bau- und Bewirtschaftungsabteilung im Zusammenhang mit Fragen betreffend Immobilien.

Vielen Mitgliedern, welche Eigentümer und Vermieter sind, fällt es schwer, das zuweilen mit dem gesunden Menschenverstand nicht erfassbare Miet(erschutz)recht und die für sie daraus resultierenden Konsequenzen zu verstehen. Nach bestem Wissen und Gewissen versuchen die Vermieter, es den Mietern recht zu machen, und bringen sich, weil sie die einzuhaltenden Formalitäten nicht kennen, damit manchmal in arge Schwierigkeiten.

Beispielsweise komplett unverständlich ist für Eigentümer, dass den Mietern noch lange Erstreckungen gewährt werden, wenn die Eigentümer die Mietwohnung wieder für sich selbst benötigen. Besonders belastet die Eigentümer dann, dass sie mit dem Mieter eine Kündigungsfrist sowie Kündigungstermine vereinbart haben, die Mieter aber darüber hinaus dennoch eine Erstreckung erhalten.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Mietrecht?

Nach 15 Jahren könnten damit Bücher gefüllt werden. Obgleich es sich immer um dasselbe Recht handelt, ist jede Konstellation unterschiedlich. Das liegt daran, dass Vermieter und Mieter ihre ganz individuelle Geschichte haben und sich in immer wieder unterschiedlichen aktuellen Situationen befinden. Diese spielen auch juristisch eine Rolle und machen die Beratungstätigkeit so unvergleichlich herausfordernd wie interessant.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?

Eine hohe Dringlichkeit für mich hätte die Beseitigung des Mieterschutzes für Mieter, die diesen Schutz nicht benötigen, und die Einführung des Schutzes von Eigentümern, welche diesen dringend benötigen.

Beispielsweise fehlt  mir das Verständnis für eine Anfangsmietzinsanfechtung von sehr vermögenden und gut verdienenden Mietern; ebenso fällt es auch mir sehr schwer, Erstreckungen zu ertragen, wenn ich keine wirkliche Notsituation auf Mieterseite sehe, dafür aber Eigentümer, welche dringend ihr vermietetes Eigenheim zurück brauchen, sei es, weil sie aus dem Ausland heimkehren, oder weil sie aus organisatorischen, gesundheitlichen oder finanziellen Gründen wieder in ihr vermietetes Eigenheim einziehen müssen.

Was wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieterinnen und Vermieter sowie an die Mieterinnen und Mieter?

Wenn es beiden Parteien gelingen würde, nicht nur zu bemerken, dass sie sich in einer längerfristigen (Kunden-)Beziehung befinden, sondern auch respektvoll miteinander zu kommunizieren, die jeweils andere Seite mit ihren Bedürfnissen ernsthaft wahrzunehmen und zu verstehen sowie in gegenseitiger Dankbarkeit zu bleiben, wären Schlichtungsverfahren in der Regel nicht mehr notwendig. So könnten Steuergelder gespart werden, und das Miteinander wäre viel angenehmer.

Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Viele Bestimmungen wurden erlassen, welche zu administrativem Mehraufwand führen, was für Vermieter und Bewirtschafter schwierig ist und letztlich das Mieten verteuert. Leider wird sehr viel häufiger als früher sofort prozessiert statt kommuniziert. In meiner Wahrnehmung wird in den Medien oft juristisch nicht korrekt oder mindestens nicht vollständig informiert. Das alles führt meines Erachtens nicht zu besseren Mietverhältnissen, sondern eher zur Bildung von Fronten.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?

Das Schweizer Mietrecht schützt den Mieter sehr gut.

Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?

Einerseits wird es zentral sein, die Kostenfaktoren, welche die Nettomiete und die Nebenkosten treiben, im Griff zu behalten. Die Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit sind meines Erachtens bereits bei der Basis der Liegenschaften, bei der Bauplanung und bei der Erstellung oder bei einer Sanierung zu berücksichtigen. Ausserdem wäre es wünschenswert und würde u.a. zu tieferen Erstellungskosten führen, wenn das Gemeinwesen den Prozess des äusserst aufwendigen und komplexen Baubewilligungsverfahrens vereinfachen würde.

Andererseits wird es für die Vermieter immer herausfordernder, sich die verschiedenen notwendigen Kompetenzen anzueignen, um die gesetzlichen Vorschriften korrekt einzuhalten und den administrativen Aufwand zu bewältigen (sprich u.a. auch mit technischen Neuerungen Schritt zu halten), sowie – last but not least – die Menschen und sich selbst dabei nicht zu vernachlässigen.

Irene Biber | legalis brief MietR 04.06.2024