Dominik Keller – «Wir müssen sowohl das formelle als auch das materielle Familienrecht fortlaufend an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen.»
Familienrecht

Nach seinem Studium der Rechtswissenschaft in Luzern erwarb Dominik Keller 2020 das Anwaltspatent und war anschliessend als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Familienrecht tätig. Ab 2022 arbeitete er als Gerichtsschreiber in der familien- und strafrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts Luzern und absolvierte 2023 die Notariatsprüfung des Kantons Luzern. Seit August 2025 ist er Richter am Bezirksgericht Willisau mit Schwerpunkt Familienrecht.
Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?
Als Student interessierte mich das Familienrecht nicht besonders. Während meines Anwaltspraktikums habe ich festgestellt, dass das Familienrecht sehr nahe an den Menschen ist. Es geht darum, eine tragfähige Lösung für die Familie zu entwickeln. Genau das fasziniert mich. Ich habe in meinem Beruf sowohl mit Menschen als auch mit komplexen juristischen Fragestellungen zu tun. Seit sechs Jahren arbeite ich deshalb bereits im Familienrecht – zunächst als Anwalt, danach als Gerichtsschreiber an der zweiten kantonalen Instanz und seit diesem Sommer als Richter an der ersten Instanz.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Wie viele andere Menschen auch, muss ich Prioritäten setzen und viele Dinge gleichzeitig jonglieren. Ich versuche, die Verfahren möglichst klar und rasch zu leiten und dabei sowohl den einzelnen Sachverhalten als auch den Menschen gerecht zu werden. An der ersten Instanz bewege ich mich dabei stets im Spannungsfeld zwischen der Rolle des Vermittlers und jener des Richters. Die Tätigkeit ist zwar anspruchsvoll, aber ich könnte mir nichts Erfüllenderes vorstellen.
Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit?
In vielen Konflikten ist spürbar, dass es weniger um das Geld als um emotionale Verletzungen geht. Oft werden dann vermeintlich nichtige Gegenstände zu Stellvertretern für den emotionalen Konflikt der Parteien. So kam es auch schon vor, dass über eine Kuh gestritten wurde, obwohl nur ein Ehegatte über einen Stall verfügte, um diese zu halten.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?
Das heutige Familienverfahrensrecht wird den familiären Lebensrealitäten zunehmend nicht mehr gerecht. Kinder unverheirateter Eltern und Kinder verheirateter Eltern werden prozessual nicht gleichbehandelt. Nicht in allen Fällen sieht die Prozessordnung einen frühen, niederschwelligen Einigungsversuch vor, obwohl dies in vielen Fällen die schnellste und wenig belastendste Lösung des Konfliktes ist. Hinzu kommen komplexe Zuständigkeitsfragen zwischen KESB und den Gerichten, die insbesondere für die Parteien zu Doppelspurigkeiten und Zeitverlust führen. Ich begrüsse daher die Bestrebungen des Bundesrats und des Parlaments, das Familienverfahrensrecht anzupassen. Insbesondere befürworte ich einen zwingenden Einigungsversuch durch das mit der Sache befasste Gericht zu Beginn des Verfahrens und den Einbezug von Konfliktdeeskalations- bzw. Konfliktlösungsmethoden.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?
Pragmatisch bleiben und stets das Ziel einer tragfähigen Lösung für den familiären Konflikt im Blick haben. Das Recht bildet den Rahmen für die Lösungsfindung. Der Inhalt ist jedoch wenn immer möglich – allenfalls mit Hilfe des Gerichts – durch die Parteien selbst zu erarbeiten.
Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Insbesondere das materielle Familienrecht wurde in den letzten Jahren stark vereinheitlicht. Die gesellschaftlichen Entwicklungen und die zunehmende Komplexität machen sich im Alltag stark bemerkbar.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?
Die grösste Stärke des Schweizer Familienrechts ist zugleich die grösste Schwäche: Die Einzelfallgerechtigkeit. Die grossen Ermessensspielräume ermöglichen, individuell auf den Fall einzugehen. Klare gesetzliche Regelungen und eine konstante Rechtsprechung fehlen allerdings oft, was für die Parteien grosse Unsicherheiten schafft.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?
Die Entwicklungen in unserer Gesellschaft werden sich auf das Rechtssystem auswirken. Wir werden insbesondere Lösungen für die zunehmende Komplexität und verschiedene Formen von familiärem Zusammenleben finden müssen. Die Verfahren werden zunehmend mehr Beteiligte haben, internationaler und interdisziplinärer. Das Wohl des Kindes wird auch in Zukunft im Mittelpunkt des Familienrechts stehen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir sowohl das formelle als auch das materielle Familienrecht fortlaufend an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen.
Severin Boog | legalis brief FamR 01.12.2025