Isabelle Achermann - «Im Familienrecht stehen immer Menschen im Zentrum, das ist sowohl anspruchsvoll als auch befriedigend.»

Familienrecht

Nach dem Jura-Studium in Basel und Genf und Volontariaten am Gericht und in der Advokatur sowie in einem grossen Treuhandbüro, erwarb Isabelle Achermann im Jahr 1986 das Anwaltspatent. Während rund 10 Jahren baute sie auf einer grossen Baselbieter Gemeinde den internen Rechtsdienst auf und nahm die Stellvertretung des Gemeindeverwalters wahr, bevor sie anfangs 1997 als Partnerin in das Advokatur- und Notariatsbüro Zähner, Zumbrunn, Schülin, Strauss, Gremper & Achermann eintrat. Im Jahr 2015 wechselte sie in die Advokatur zum Erasmushaus, heute Advokatur und Notariat Goepfert Achermann Grieder im Herzen von Basel. Neben den Spezialisierungen im Familien- und Erbrecht durch regelmässige Weiterbildungen, erwarb sie im Jahr 2012 das CAS im Versicherungs- und Haftpflichtrecht. Sie ist Mitglied des Ehrengerichtes der Basler Advokatenkammer sowie Mitglied der Fachgruppen Familienrecht, Güter- und Erbrecht sowie Versicherungsrecht. Während mehr als 20 Jahren war sie Mitglied des Bürgerrates Binningen,  12 Jahre davon als deren Präsidentin. Seit 2014 ist Isabelle Achermann engagiertes Mitglied von Soroptimist International Club Basel, welchem sie in den Jahren 2020-2022 als Präsidentin vorstand. Sie engagiert sich somit nicht nur beruflich, sondern auch in ihrer Freizeit für die Rechte und Bedürfnisse von Frauen und Kindern. Isabelle Achermann ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?

Ich bin vor mehr als 25 Jahren als junge Partnerin in eine reine Männerkanzlei eingetreten und somit aufgrund der Nachfrage immer mehr ins Familienrecht hineingerutscht. Ursprünglich befasste ich mich überwiegend mit öffentlichem Recht. Das Familienrecht mit all seinen rechtlich anspruchsvollen, aber auch menschlich fordernden Facetten hat mich angesprochen und so habe ich mich im Laufe der Jahre entsprechend spezialisiert. Die breite Palette von Fragen der Kinderbetreuung über Unterhaltsfragen bis zum Güterrecht, häufig gepaart mit der Thematik von Familienunternehmen, die von einem Ehepartner weitergeführt werden sollen oder von steuerlichen Komponenten, öffnet ein spannendes Beratungsfeld. Das Familienrecht umfasst nicht nur Trennung und Scheidung, wie von Laien häufig angenommen wird, sondern auch die Beratung von Konkubinatspaaren, die Entscheidhilfe bei der Wahl eines Güterstandes bei der Heirat oder die rechtliche Beratung, ob überhaupt geheiratet werden soll. Persönlich fasziniert mich die Chance, den Mandantinnen und Mandanten eine Perspektive zu eröffnen, wie es in ihrer speziellen Situation weitergehen kann und wird.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Die Mandantinnen und Mandanten sind im Familienrecht emotional und häufig auch wirtschaftlich in einer ausserordentlich schwierigen und angespannten Situation und erwarten rasche und umfassende Hilfe und Unterstützung. Oft sehen wir uns mit hohen Erwartungen konfrontiert und müssen diesen so begegnen, dass das Vertrauen in eine Lösung nicht erschüttert wird, aber realistische Ansätze möglich werden. Viel Geduld und eine grosse Gelassenheit ist eine wesentliche Voraussetzung, um den täglichen Herausforderungen mit der erforderlichen Empathie zu begegnen und trotzdem so viel Distanz zu wahren, um sich nicht von der engen Sicht der Mandantin/des Mandanten vereinnahmen zu lassen, sondern objektiv zu bleiben.

Herausfordernd ist auch, dass jeder Tag anders abläuft als geplant und die Termine und Fristen dennoch gewahrt werden müssen und schliesslich bleibt es eine ständige Herausforderung, die Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und gängige Literatur zu verfolgen und auf dem neuesten Stand des Familienrechtes zu bleiben.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit?

Oh ja, viele.

Da hat z.B. einmal ein Ehemann angerufen, nachdem seine Frau einen ersten Besprechungstermin bei mir hatte, um sich bei ihrer Scheidung von mir begleiten und vertreten zu lassen. Wie üblich in solchen Situationen, hatte ich den Ehemann nach der ersten Beratung angeschrieben und angefragt, ob er mit der Aufnahme von Verhandlungen einverstanden sei und zu einer einvernehmlichen Trennung/Scheidung Hand bieten würde. Am entsprechenden Telefonat erklärte er mir erbost «bevor meine Frau bei Ihnen war, hatten wir nie Probleme…»

Oder die Tatsache, dass es nach mehr als 20 Jahren als Anwältin im Familienrecht immer häufiger passiert, dass man auch im privaten Umfeld oder bei öffentlichen Anlässen auf frühere Klientinnen und Klienten oder auch auf Gegenparteien stösst. Da kann es vorkommen, dass man plötzlich angesprochen wird und erfährt «wegen Ihnen muss ich meiner Tochter die Privatschule bezahlen, aber ich bin froh, sie macht sich sehr gut dort» oder eine Dame erklärt an einer Einladung laut «das dort war meine Scheidungsanwältin». Das schönste Kompliment ist, wenn ein neuer Klient aufgrund einer Empfehlung der damaligen Gegenpartei zu mir ins Büro kommt.

Oder schliesslich das Paar, das zusammen unter demselben Regenschirm zur Scheidungsverhandlung spazierte, während der Verhandlung weinte und sich fragte, weshalb sie überhaupt scheiden wollen. Sie haben die Scheidung dann doch durchzogen, «weil es erst wieder so gut klappt, seit sie getrennt leben» und nach der Verhandlung sind sie zusammen verreist.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?

Es ist für Anwältinnen und Anwälte schwieriger geworden, der Klientschaft voraussagen zu können, wie ein Verfahren entschieden wird. Die Gerichtspraxis ist im Wandel, die Gerichte interpretieren die gesetzlichen Vorgaben unterschiedlich. Gerade im Unterhaltsrecht hat sich in den letzten Jahren viel geändert. Jetzt muss wieder mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. Ich würde es begrüssen, wenn standardisierte Berechnungsmodelle gelten und diese von den Gerichten zur Verfügung gestellt würden. Auch kürzere Verfahrensdauern (insbesondere im Eheschutz) sind anzustreben. Familienrechtliche Verfahren sind für die Betroffenen sehr belastend. Unkomplizierte und konstruktiv geführte Einigungsverhandlungen, wie sie von einigen Richterinnen und Richtern bereits heute durchgeführt werden, sollten von den Familiengerichten noch vermehrter angeboten werden. Einen schriftlichen Zivilprozess zu führen, wenn es primär um Kinderbelange und Unterhaltsfragen geht, sollte vermieden werden, ebenso wie endlose Sistierungen von Verfahren.

Was wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?

Auf die Parteien einzuwirken, zu einvernehmlichen Lösungen Hand zu bieten. Nicht zu kämpfen, um zu gewinnen, sondern auch einmal nachzugeben. Das darf aber keine Einbahnstrasse sein, sondern funktioniert nur, wenn beide Parteien an einer Lösung interessiert sind und beide nachgeben und respektvoll miteinander umgehen können. Manche Klientinnen und Klienten muss man hingegen vor sich selber schützen, damit sie nicht dem Frieden zuliebe auf alles verzichten und später (wenn sie sich von der Scheidung erholt haben), dem Anwalt oder der Anwältin vorwerfen, sie seien zu wenig unterstützt worden. Letztlich gilt auch in familienrechtlichen Verfahren häufig «zielstrebig und hart in der Sache, weich und verständnisvoll im Ton».

Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Es ist deutlich komplexer geworden, was für die Klientinnen und Klienten unbefriedigend ist. Für die Anwältinnen und Anwälte hingegen ist aus dem früher häufig belächelten «Scheidungsrecht» ein anspruchsvolles und vielseitiges, spannendes Betätigungsfeld entstanden. Der Kindes- und Erwachsenenschutz oder die sozialversicherungsrechtlichen Fragen sind heute neben dem reinen Familienrecht ebenso von Bedeutung wie alle Entwicklungen im Bereich der Ehe für alle oder der Adoption.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?

Gerade die wachsende Bedeutung der alternierenden Betreuung zeigt Stärken und Schwächen im Familienrecht auf. Die Gesetze und die Rechtsprechung versuchen, den Rahmen und die Vorgaben für eine gerechte Aufteilung der Aufgaben zwischen Vater und Mutter zu geben. Hilfsmittel wie der Betreuungsunterhalt, die Aufteilung des Grundbetrages und der Wohnkosten der Kinder auf beide Eltern usw. sollen dabei helfen. Letztlich kann das Recht aber die alltäglichen Gegebenheiten nicht umfassend klären, was eine Schwäche ist.

Auch die Tatsache, dass die Gesetzgeber und das Bundesgericht aufgrund von Einzelfällen zu rigorosen Praxisänderungen greifen, ist nicht immer von Vorteil. So schwankte das Pendel in den letzten Jahren von einer sehr grosszügigen Unterhaltspraxis zugunsten der Frauen (lebensprägende Ehe, Wahrung des Lebensstandards) ins Gegenteil (die Frauen müssen wirtschaftlich unabhängig sein, die Ehe ist keine Lebensversicherung).

Trotz allem ermöglicht das Familienrecht noch immer, dass der Einzelfall beurteilt wird und dass auch abweichende, einvernehmliche und grosszügige Lösungen getroffen werden können. Das Gesetz setzt den Rahmen, aber für vergleichsweise Lösungen bleibt dennoch ein grosser Spielraum.

Welche ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?

Die Veränderung in den Familienstrukturen (Patchworkfamilien, Kinder von nicht verheirateten Paaren, alternierende Betreuungsmodelle auch an geografisch auseinanderliegenden Orten etc.) werden hohe Anforderungen an gerechte und vor allem auch praktikable Lösungen stellen. Der Anspruch an die Anwältinnen und Anwälte wie auch an die Gerichte wird sein, trotz komplexer Ausgangslagen und sich ständig entwickelnder Gerichtspraxis und Gesetzesanpassungen, für einfache, rasche und überzeugende Lösungen offen zu bleiben. Im Familienrecht sollten m.E. langwierige Prozesse möglichst vermieden werden – insbesondere, wenn es um Kinderbelange geht. Anders mag es bei hochkomplexen güterrechtlichen Fragen sein, da mag sich ein Prozess analog zu Forderungsprozessen vielleicht lohnen. Aber ein Rosenkrieg um Kinder und Unterhaltsfragen soll, wenn immer möglich vermieden werden, da kann es nur Verlierer geben und es ist an uns Anwältinnen und Anwälten, dies – auch wenn wir einander im Prozess gegenüberstehen – mit konstruktiven, originellen und grosszügigen Vorschlägen zu verhindern.

Nadine Grieder | legalis brief FamR 11.09.2023