Susanne Speiser – «Das Familienrecht ist moderner und zeitgemässer, gleichzeitig aber auch komplizierter geworden.»

Familienrecht

Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Basel und den Praktika beim Statthalteramt, dem Bezirksgericht, der Bezirksschreiberei und in zwei Anwaltsbüros erwarb Susanne Speiser 1990 das Anwaltspatent. Danach war sie bis 2004 als selbständige Advokatin, als Friedensrichterin sowie bei einer Schlichtungsstelle tätig. Seit 2004 ist Susanne Speiser Gerichtspräsidentin am Zivilkreisgericht Basel-Landschaft West.

Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?

Als erstinstanzliche Gerichtspräsidentin habe ich Fälle aus dem gesamten Privatrecht zu beurteilen. Die familienrechtlichen Verfahren machen etwa die Hälfte meiner Arbeit aus.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Die Instruktion der Gerichtsverfahren wird immer aufwendiger, da wir in strittigen Verfahren zunehmend mit einer regelrechten Flut von Eingaben und (vermehrt superprovisorischen) Anträgen konfrontiert werden. Die Darstellungen der Parteien sind meistens diametral entgegengesetzt. Sowohl das Gericht als auch die Parteivertreter waren nie persönlich dabei und können deshalb schwer beurteilen, wo exakt die Wahrheit liegt. Aus diesem Grund ist es oberstes Ziel, mit den Parteien eine Lösung zu finden, welche ihre Akzeptanz findet.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit?

Ich hatte ein Eheverfahren, zu welchem der Ehemann als Elvis Presley verkleidet erschien. Nach der Verhandlung kam er zum Richterpult und gab seine Version von «Love Me Tender» zum Besten. Das war eine berührende Situation, wobei die Ehefrau etwas irritiert schien!

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?

Ich würde das Unterhaltsrecht vereinfachen. Die heutigen Unterhaltsberechnungen sind für alle eine grosse Herausforderung, aber auch eine Überforderung. Ohne Mathematikstudium geht es bald nicht mehr. Als ich als Advokatin begann, hatten wir noch die Prozentregel (Einkommen auf Köpfe verteilt). Heute wird insbesondere darüber gestritten, ob die Wohnung zu teuer ist, ob ein Auto wirklich benötigt wird, wie gross der Kinderbetreuungsanteil und damit die Unterhaltsbeiträge sind, etc. Ich sähe es als gangbaren Weg, allen Beteiligten ein Budget einzuräumen, mit welchem sie ihre Lebenskosten frei bestreiten können. Unsere Rechnerei ist eine Scheingenauigkeit und wird rasch wieder überholt!

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?

Ich würde für mehr Gelassenheit, Flexibilität und offene Ohren plädieren. Sich zu bekämpfen bringt erfahrungsgemäss keinem der Beteiligten einen wirklichen Gewinn.

Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Das Familienrecht ist moderner und zeitgemässer, gleichzeitig aber auch komplizierter geworden. Es hatten Anpassungen an die neuen Familienstrukturen zu erfolgen.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?

Eine Stärke ist die Flexibilität aufgrund der offen formulierten Gesetzesbestimmungen. Dies ist gleichzeitig auch eine Schwäche. Man hört oft die Aussage von Parteien «ich will, was mir zusteht». Sie hadern dann damit, dass sich aus den Gesetzesbestimmungen nicht direkt etwas für sie ableiten lässt, was ihr subjektives Gerechtigkeitsempfinden befriedigen kann.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?

Die grösste Herausforderung ist die Rechtsentwicklung für die Fortsetzungsfamilien, insbesondere in Bezug auf die Betreuung der Kinder, verbunden mit der Aufteilung der finanziellen Pflichten.

Simon Furler | legalis brief FamR 01.02.2024