Luca Meier – «Auch als Profi muss man sich ständig auf dem Laufenden halten, um nichts zu verpassen.»
Mietrecht, Pflichten Vermieter
2006 erwarb Luca Meier sein Lizenziat der Rechtswissenschaften an der Universität Zürichund 2012 das Anwaltspatent. Bereits nach dem Studium war er als Auditor und Gerichtschreiber am Bezirksgericht Andelfingen und danach als Gerichtschreiber am Bezirksgericht Dietikon sowie jeweils als Vorsitzender der paritätischen Schlichtungsbehörde in Miet- und Pachtsachen tätig. Seit 2014 zählt er neben weiteren immobilienbezogenen Gebieten das Miet- und Pachtrecht als exklusiver Vertreter der Vermieterschaft zu seinen Haupteinsatzgebieten als Anwalt.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?
Als ich als frischer Jus-Student bei meinen Eltern auszog und meinen ersten Mietvertrag unterzeichnen musste, kam ich das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt. Meine Eltern mussten damals neben der Mietkaution eine (nicht beurkundete) Bürgschaft für die laufenden Mietzinszahlungen leisten, da mein Nebeneinkommen noch zu tief war. Ich hatte keine Ahnung vom Mietrecht und habe mich auch nicht vorgängig informiert, sondern den Mietvertrag einfach durchgelesen und unterzeichnet, ohne zu wissen, ob das, was dort drinstand, alles rechtens war. Es stellte sich später heraus, dass dem nicht so war. Es kam deswegen zum Glück jedoch nie zu einem Konflikt. Die Wohnung wurde mir allerdings von der Verwaltung erst zwei Wochen nach Mietbeginn übergeben, da noch Renovationen stattfanden. Zu meinem Erstaunen wurde mir die Hälfte des bereits bezahlten ersten Mietzinses zunächst nicht zurückerstattet, weshalb ich nach längerem Abwarten freundlich darum bitten musste. Auch dies erledigte sich dann jedoch glücklicherweise unkompliziert, ich merkte jedoch, dass ich gut aufpassen muss.
Nach Abschluss des Studiums folgte die Zeit als Gerichtspraktikant und als Gerichtsschreiber bei den Bezirksgerichten Andelfingen und Dietikon, wo ich zunächst als Auditor an Schlichtungs- und Mietgerichtsverhandlungen teilnehmen und erste Praxiserfahrung sammeln konnte. Als Gerichtsschreiber hatte ich dann während meines gesamten Anstellungsverhältnisses bei beiden Gerichten an den Schlichtungsbehörden über mehrere Jahre auch nebenbei den Vorsitz inne. So konnte ich mein mietrechtliches Wissen vertiefen und merkte, dass ich für dieses Rechtsgebiet eine besondere Leidenschaft empfand. Dies wohl auch, weil ich als Vorsitzender der Schlichtungsbehörde sehr selbständig arbeiten konnte und auch direkten Einfluss hatte, die Parteien zur Herstellung des Rechtsfriedens zu einem sinnvollen Vergleich zu überzeugen. Nach Erhalt des Anwaltspatents wechselte ich in eine mietrechts- und immobilienrechtsspezialisierte Kanzlei, in welcher ich noch heute vorwiegend auf Mietrecht spezialisiert tätig bin und ausschliesslich Vermieter berate und vertrete. Ich bin zudem nach wie vor selbst Mieter. Dadurch ergeben sich verschiedenen Sichtweisen auf mietrechtliche Belange.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Die grösste Herausforderung des Alltags ist die Balance zwischen der Rolle als Ehemann und Vater auf der einen Seite und dem sehr anspruchsvollen Beruf als Anwalt auf der anderen Seite herzustellen. Beide Rollen kann man nicht halbherzig spielen.
In Bezug auf das Mietrecht besteht die Herausforderung darin, die Interessen der Vermieterinnen und Vermieter bestmöglich zu vertreten, ohne dabei den Mieterschutzgedanken völlig aus den Augen zu verlieren. Die Vermieterschaft ist durch die Mieterschutzgesetzgebung faktisch stets etwas im Hintertreffen. Überall gibt es Stolpersteine. Als reiner Vermieteranwalt muss man deshalb die mietrechtliche Rechtslage und Rechtsprechung stets sehr gut präsent haben. Die primäre Aufgabe ist es, präventiv zu arbeiten, um von Anfang an Fehler, welche Vermietern unterlaufen können zu verhindern und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. In Prozessen muss man überdies teilweise mit argumentativen Finessen punkten und mit Überzeugung verhandeln können, um Schlichtungsbehörden oder Mietgerichte auf die eigene Seite zu bringen.
Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Mietrecht?
Als ich im Jahr 2008 als Vorsitzender bei der Schlichtungsbehörde arbeitete, reichte ein in der Branche nicht unbekannter Mietrechtsanwalt eine Klage ein gegen eine Mietzinserhöhung wegen wertvermehrenden Investitionen und argumentierte, dass eine solche Erhöhung mangels Rechtsgrundlage nicht zulässig sei. Als ich ihn an der Verhandlung auf Art. 14 VMWG (Mehrleistungen des Vermieters) hinwies, welcher damals per 1.1.2008 gerade neu eingeführt wurde, verlangte er spontan eine Verhandlungspause, um sich mit seiner Klientschaft zu besprechen. Nach weniger als 5 Minuten kam er wieder in den Verhandlungssaal, zog die Klage zurück und meinte, er habe da wohl etwas nicht mitbekommen. Ich war ein bisschen stolz auf mich, da ich damals eine meiner ersten Verhandlungen leitete und in Bezug auf das Mietrecht noch kein besonderes Fachwissen hatte. Fazit: Auch als Profi muss man sich ständig auf dem Laufenden halten, um nichts zu verpassen. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die Rechtsprechung.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?
Obwohl ich den vom Gesetzgeber angedachten Ansatz des Mieterschutzes anerkenne, ist der extrem strenge Formalismus im Mietrecht in gewissen Fällen übertrieben. Für viele private Vermieterinnen und Vermieter, welche meist rechtliche Laien sind, gibt es viele formelle Fallen, was nicht immer fair ist. M.E. ist das Mietrecht resp. die damit verbundene Rechtsprechung in gewissen Bereichen oftmals viel zu starr und unverzeihlich. Es müsste in gewissen Fällen einfacher sein, Formfehler zu «heilen». Auch müsste es bspw. möglich sein, eine allenfalls unwirksame ausserordentliche Kündigung in eine gültige ordentliche Kündigung umwandeln zu können, wenn die Voraussetzungen für eine ausserordentliche Kündigung zwar nicht, diejenigen für eine ordentliche Kündigung jedoch gegeben sind und die Kündigung als solches legitim ist. Es gibt für mich keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb dies vom Bundesgericht abgelehnt wird.
Was wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieterinnen und Vermieter sowie an die Mieterinnen und Mieter?
Gilt für beide Parteien: Es nützt, wenn man gelegentlich versucht, sich in die Situation des anderen zu versetzen, um ein Verständnis dafür zu bekommen. Wichtig ist auch, dass bei Verunsicherungen oder Unklarheiten vorab der mündliche Dialog gesucht wird. Oftmals können so unnötige Missverständnisse und Eskalationen vermieden werden. Ich stelle in der Praxis oft fest, dass erst die später einmal mandatierten Anwältinnen und Anwälte miteinander telefonisch über Problemlösungen sprechen und diese auch sehr oft mit Kompromissen aussergerichtlich finden. Beide Parteien sollten ihre Interessen nicht auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen.
Für Vermieterinnen und Vermieter Die Vermietung von Mietobjekten ist ein Geschäft. Die Mieterinnen sind Ihre Kunden. Kundenbeziehungen müssen gepflegt werden. Diesen Kunden hat der Gesetzgeber ausserdem besondere Schutzrechte zugesprochen. Um als Vermieterin möglichst reibungslos durchs Leben zu kommen, muss man sich gezwungenermassen mit dem Mietrecht auseinandersetzen.
Für Mieterinnen und Mieter Respektieren Sie das Eigentum anderer und gehen Sie damit sorgfältig um, wie wenn es Ihr eigenes wäre. Damit der Hausfriede gewahrt bleibt, nehmen Sie Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Bewohner im Haus, so wie Sie es von andern Ihnen gegenüber auch erwarten.
Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
In rechtlicher Hinsicht wohl nicht extrem viel, ausser dass im Kanton Zürich, wo ich hauptsächlich tätig bin, im Jahr 2013 das Anfangsmietzinsformular eingeführt wurde, was zu einem Anstieg von Anfangsmietzinsanfechtungen und damit verbundener Mehrarbeit führte.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist zum Vorteil meiner Kunden in gewissen Bereichen minimal vermieterfreundlicher geworden. Ich denke da primär an die zuletzt für die Vermieterschaft etwas positiveren Urteile in Bezug auf Ausweisungen im Rechtsschutz in klaren Fällen bei Zahlungsverzugskündigungen und auch die neue Rechtsprechung in Bezug auf die Nettorenditeberechnung bei der Festsetzung des Anfangsmietzinses, welche leider auch wieder neue Unklarheiten und damit Unsicherheiten verursachte.
In tatsächlicher Hinsicht ist der Referenzzins in den letzten Jahren stetig auf neue Tiefstände gesunken, wobei die Mieter regelmässig eine Mietzinsreduktion forderten. Es gab nur noch Sinkflug und keine Wellenbewegungen mehr.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?
Die grösste Stärke ist sicher der soziale Gedanke, welcher hinter dem Mietrecht steht. Es ist richtig, dass grundsätzlich alle Menschen ein Dach über dem Kopf haben sollen und die (vermeintlich) stärkere Partei, die Vermieterschaft, dieses elementare Bedürfnis eines jeden Menschen nicht ausnützen und damit keinen Missbrauch treiben soll. Oftmals ist dies jedoch auch die grösste Schwäche.
Dieser Grundgedanken des Mieterschutzes darf die Vermieterschaft nicht unter Generalverdacht stellen, dass sie nur Missbrauch betreiben will. Die meisten Vermieterinnen wollen nichts Böses. Es gibt auch immer wieder Mieter, die mit viel Fantasie das Schutzsystem ausnützen und sich zu Unrecht Vorteile damit verschaffen (oder dies zumindest probieren, was Vermieter viel Zeit und Geld kosten kann, selbst wenn sie im Recht sind).
Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?
In den letzten Jahren wurden vor allem an zentralen Lagen wie städtischen Gebieten viele neue Mietverträge abgeschlossen, welche bei einem tiefen Referenzzinsniveau, jedoch aufgrund der hohen Nachfrage auf dem Markt ziemlich hohe Mietzinse beinhalten. Bei vielen Mieterinnen könnte es zu einer finanziellen Herausforderung kommen, wenn der Referenzzins in den nächsten Jahren gegebenenfalls stetig ansteigt, die Mieten dadurch vermieterseits laufend angehoben und die Haushalte kritisch belastet werden, da – bei zusätzlich stetig ansteigenden Krankenkassenprämien, jedoch nicht wesentlich zunehmendem Einkommen – das Budget eine allzu starke Mietzinserhöhung allenfalls nicht verkraftet. Dies könnte zu neuen Konflikten führen.
Christoph Meyer | legalis brief MietR 05.09.2023