Yves de Mestral – «Der Schutz vor Leerkündigungen in den urbanen Zentren ist ungenügend.»
Mietrecht

Yves de Mestral hat auf dem zweiten Bildungsweg Rechtswissenschaften studiert und im Anschluss daran die Anwaltsprüfung absolviert. In der Folge arbeitete er ein Jahr als angestellter Rechtsanwalt und machte sich im Jahr darauf selbständig. Gleichzeitig war er während gut sieben Jahren als Zürcher Kantonsrat aktiv. Per 2010 wurde er zum Stadtammann und Betreibungsbeamten in Zürich Wiedikon (Kreis 3) gewählt.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?
Das war im Jahre 1989. Ich war damals als Assistent in einem Anwaltsbüro tätig und amtete gleichzeitig als Sekretär des Mieterverbandes Zürcher Oberland. Die Revision des Mietrechts anfangs der 90er-Jahre habe ich sehr eng mitverfolgt.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Mein Alltag ist geprägt von den operativen Tätigkeiten eines Betreibungsbeamten, wobei ich weniger in der Linie tätig bin als vielmehr in der Personalführung, Amtsorganisation, Ressourcenbeschaffung, IT-Verantwortung etc. Wir bearbeiten in unserem Kreis rund 12'000–13'000 Betreibungen pro Jahr. Hinzu kommen gewisse stadtammannamtliche Aufgaben wie insbesondere die Organisation und der Vollzug von jährlich rund 15–20 Exmissionen (Stadt Zürich rund 150 Exmissionen pro Jahr). Ich präsidiere zugleich die Konferenz der Stadtammänner und Stadtamtsfrauen der Stadt Zürich. Eines meiner Hauptthemen derzeit ist die Einführung einer schweizweiten Betreibungsregister-Auskunft (BRA CH), mit welcher es Vertragspartnern und Gläubigern zukünftig erleichtert werden soll, eine umfassende Auskunft über hängige Betreibungen einer Person zu erhalten – ein aufwendiges und langwieriges, aber sehr spannendes Projekt!
Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Mietrecht?
Aus der Exmissions-Praxis des Stadtammanns gibt es wenig Anekdotisches zu berichten, aus der Anwaltstätigkeit aber schon: Das war 2007, als ich als Vermietervertreter einem Strip-Club an der Langstrasse den Stecker ziehen durfte (die Liegenschaft wurde umgenutzt). Der Pächter/Gegenanwalt wollte bis zur letzten Minute mit mir einen unsauberen Hinterzimmer-Deal abschliessen, um die Exmission zu verhindern. Ich konnte darüber aber nur schmunzeln und habe ihn auf seine anwaltschaftlichen Standespflichten hingewiesen.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?
Angesichts der Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt in den urbanen Zentren zeigt sich immer mehr, dass der Schutz vor Leerkündigungen ungenügend ist. Dies mit dem Effekt, dass in den Städten die Mieter mit kleineren Einkommen nachhaltig verdrängt werden. Dafür muss die Politik schnell eine Lösung finden.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieter, welches an die Mieter?
Dem Mieter kann ich – wenig einfallsreich – nur raten, die Mietzinse pünktlich zu bezahlen, sich an die Hausordnung zu halten und sich bei Bedarf mit den Mitmietern zu organisieren (Chat-Funktion etc.). Den Vermietern empfehle ich, den persönlichen Kontakt zu den Mietern zu pflegen und auf Anfragen zeitnah zu reagieren. Es ist so viel einfacher, eine Lösung zu finden, wenn man sich persönlich kennt und die Situation des jeweiligen Gegenübers zu verstehen versucht. Nicht selten stelle ich fest, dass seitens der Vermieter einzig und allein postalisch kommuniziert wird. Wenn dann der Briefkasten monatelang nicht geleert wird, findet keine Kommunikation statt, womit die Eskalation des Konfliktes vorprogrammiert ist. Ein digitaler Versuch oder eine Vorsprache vor Ort an der Wohnungstüre kann viel bewirken – wir machen aus Sicht des Betreibungsamtes laufend entsprechende Erfahrungen.
Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Es gibt viele Vermieter, welche anständig agieren und eine Exmission einzig dann beantragen, wenn die Mietzinse ausbleiben. Daran ist nichts auszusetzen – höchstens könnte teils die mangelnde Bereitschaft kritisiert werden, eine Mietzinsgarantie bspw. des Amtes für Zusatzleistungen zu akzeptieren. Eine Unterbringung in einer Alterswohnung kostet die Stadt ein Vielfaches des bisherigen Mietzinses. Es gibt aber zunehmend auch Vermieter, welche versuchen, bestehende Mietverhältnisse mit vorgeschobenen Gründen zu kündigen.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?
Die grösste Schwäche des Mietrechtes aus Sicht der Mieterschaft ist der mangelnde Schutz gegen Leerkündigungen. Die Stärke aus gleicher Optik ist der Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen während des laufenden Mietverhältnisses.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?
Das Mietrecht nach der heutigen Konzeption war und ist nicht auf die real existierenden Auswüchse einer grossmehrheitlich rein renditeorientierten Profitmaximierung ausgerichtet. Hier besteht meines Erachtens grosser Handlungsbedarf seitens der Politik. Es wird sich zeigen, ob die teilweise bereits kantonal eingeführten Massnahmen (wie bspw. in Basel-Stadt oder im Kanton Waadt) eine nachhaltige Lösung bieten.
Irene Biber | legalis brief MietR 03.12.2025