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VORGESTELLT

Diego Stoll – «Ich würde mir wünschen, dass sich ein Verfahren etabliert, bei dem möglichst viele Fälle mündlich im Rahmen von Vergleichsverhandlungen erledigt werden können.»

Familienrecht

Dr. Diego Stoll ist Partner bei Lamolex Advokatur, einem Anwaltsbüro im Kanton Basel-Landschaft. Er hat an der Universität Basel Rechtswissenschaften studiert und im Jahr 2016 das Anwaltsexamen absolviert. Diego Stoll ist ausschliesslich im Bereich des Familienrechts tätig. Er ist einerseits forensisch tätig, indem er Parteien in Gerichtsverfahren vertritt, andererseits steht er Parteien, die eine aussergerichtliche Vereinbarung abschliessen möchten, gemeinsam beratend zur Seite. Im Jahr 2024 wurde Diego Stoll mit einer berufsbegleitenden Dissertation zum Betreuungsunterhalt promoviert. Im Jahr 2025 absolvierte er ausserdem die Ausbildung zum Fachanwalt SAV Familienrecht. Als ausgewiesener Spezialist im Bereich des Familienrechts publiziert Diego Stoll regelmässig in diversen Fachzeitschriften und referiert schweizweit an Fachtagungen.

Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?

Das Familienrecht hat mich bereits im Studium begeistert, als ich bei Prof. Roland Fankhauser und bei Prof. Jonas Schweighauser in der Vorlesung gesessen bin. Auch später bin ich dem Familienrecht immer treu geblieben, egal ob als wissenschaftlicher Assistent, als Volontär oder als Anwalt. Das ist bis heute so geblieben. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Die Arbeit als Familienrechtsanwalt ist intensiv, aber auch sinnstiftend. Wenn es gelingt, eine Trennung auf konstruktive Art und Weise zu regeln, ist dem ganzen Familiensystem gedient.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit (im Bereich Familienrecht)?

Anekdoten aus meiner anwaltlichen Tätigkeit behalte ich gerne für mich.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass sich ein Verfahren etabliert, bei dem möglichst viele Fälle mündlich im Rahmen von Vergleichsverhandlungen erledigt werden können. Oder um es in den Worten von Bruno Lötscher, früherer Präsident am Zivilgericht Basel-Stadt, zu sagen: Jedes geschriebene Wort kann eines zu viel sein und dazu beitragen, dass ein Fall strittiger ausgetragen wird als nötig.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?

Auch nach einer Trennung bleiben viele Parteien, gerade wenn Kinder im Spiel sind, in irgendeiner Form miteinander verbunden. Sofern beide Seiten bereit sind, konstruktiv mitzuarbeiten, sind vergleichsweise Lösungen aus meiner Sicht einem strittigen Verfahren klar vorzuziehen. Ich berate auch viele getrennt lebende Parteien gemeinsam und habe den Eindruck, dass die in diesem Rahmen einvernehmlich erarbeiteten Regelungen nachhaltiger sind als Pyrrhussiege vor Gericht.

Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Die Familienlandschaft ist heute pluralistischer als vor ein paar Jahren. Mir begegnen in der Praxis vermehrt Fortsetzungsfamilien oder Eltern, die sich nach einer Trennung nicht «klassisch» organisieren. Das macht die Arbeit als Familienrechtsanwalt anspruchsvoller, aber auch interessant.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?

Das schweizerische Unterhaltsrecht ist stark von der Gerichtspraxis geprägt. Die gesetzlichen Grundlagen sind relativ offen formuliert. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Einerseits begünstigt das einzelfallgerechte Ergebnisse, andererseits ist das Ermessen der Gerichte erheblich, was dazu führt, dass je nach Zusammensetzung des Spruchkörpers ganz andere Beträge resultieren können. Unbefriedigend ist meines Erachtens sodann der Umgang mit volljährigen Kindern, die nach der seit 2020 geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichts zu tiefe Unterhaltsbeiträge erhalten. 

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?

Das Familienrecht unterliegt einem steten Wandel. Das ist aus meiner Sicht auch gut so. Vor Kurzem wurde das Gutachten von Cordula Lötscher und François Bohnet zu einer Reform des Familienverfahrens veröffentlicht. Ich hoffe, dass ihre Vorschläge (zivilstandsunabhängiges, interdisziplinäres, lösungsorientiertes, effizientes und effektives Verfahren mit einem anderen Einbezug der Parteien und der Kinder) auf Gehör stossen werden. Daneben bleibt der Einfluss der künstlichen Intelligenz auf die familienrechtliche Praxis abzuwarten.

Simon Furler | legalis brief FamR 28.08.2025